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Unternehmen 8. Juli 2020

Kriminalitätsentwicklung in Zeiten von Corona – Atempause?

Weniger Straftaten: Wegen der Verbote und Einschränkungen als Folge der Coronapandemie ist die Kriminalitätsentwicklung in Deutschland momentan rückläufig.

Die Coronakrise hat, könnte man sagen, auch ihre positiven Seiten, was die Kriminalitätsentwicklung angeht. Zum Beispiel die Einbruchszahlen und Taschen- und Trickdiebstähle, die einen bundesweiten Rückgang von 30 bis 50 % verzeichnen – Kriminalitätszahlen wie vor 50 Jahren. Die heutigen Ganoven sind teilweise arbeitslos. Die Mafia und Organisierte Kriminalität aber nicht.

Menschen bleiben in Coronakrise eher zu Hause

Aufgrund der gesetzlichen Verordnungen müssen mehrheitlich Menschen zu Hause bleiben – das schreckt offenbar Einbrecher ab. Das hessische Innenministerium äußert eine Vermutung, woran das liegen könnte: Die Bewohner seien einfach häufiger in ihren Häusern und Wohnungen wegen der Kontaktbeschränkungen oder weil sie im Homeoffice arbeiteten. Das scheint Einbrecher abzuschrecken. Aber es sei nur ein Zwischenstand. Man wolle genau beobachten, wie sich die Kriminalität weiter entwickelt, so Bayerns Innenminister Herrmann.

Aktuelle Lage laut einer Umfrage

Kriminalitätsentwicklung in den Bundesländern

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Eine Umfrage des ZDF Mitte April bei den bundesdeutschen Innenministerien, wobei sich dieser Trend nach Recherchen des Autors auch im Mai fortgesetzt hat, ergab folgendes Bild:

  • Baden-Württemberg: Insbesondere solche Delikte, die im öffentlichen Raum begangen werden, sowie Eigentumsdelikte nahmen aufgrund der Beschränkungen merklich ab.
  • Berlin: Sinkende Einbruchs- und Sexualtaten, steigende Kellereinbrüche und häusliche Gewalt. Dazu die Erklärung der Berliner Polizei: „Wir vermuten, dass viele jetzt die Gelegenheit nutzen und die Keller aufräumen. Dabei entdecken sie wohl auch eine Menge Diebstähle, die schon länger zurückliegen“.
  • Hamburg: Rückgang der Deliktszahlen von etwa 25 bis 30 %.
  • Niedersachsen: Bei der Einbruchskriminalität wird ein Rückgang von knapp über 50 % registriert. Beim einfachen Diebstahl seien es mehr als 70 Prozent. Beim Taschendiebstahl liege der Rückgang sogar bei über 90 %, im Bereich der Körperverletzungsdelikte bei über 45 %.
  • NRW: sinkende Kriminalität zwischen 29 und 48 %.
  • Schleswig-Holstein: Die registrierte Kriminalität im Land ist seit Beginn der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus deutlich zurückgegangen. Es lasse sich sagen, dass sich die Summe aller festgestellten Straftaten in den vergangenen zwei Wochen nahezu halbiert habe.
  • BKA: steigende Fallzahlen bei häuslicher Gewalt und Betrug im Internet durch Fake-Shops, falsche Spendenaufrufe und Phishing-Mails mit Bezug zu Covid-19.

Im Fokus steht der Betrug

Während Ausgangs- und Kontaktsperren das Potenzial für Gewalt in der Öffentlichkeit und manche Formen der Straßenkriminalität reduzieren, findet eine Verschiebung hin zu anderen Delikten, wie Betrug, statt. „Kaum jemand passt sich neuen Gegebenheiten so gut an wie Kriminelle“, sagt Joseph Giacalone, Juniorprofessor und Detektiv der New Yorker Kripo in einem Fachbeitrag. In der Krise werde das sozialschädliche Verhalten von Kriminalität besonders deutlich.

Laut Erkenntnissen von Europol haben Betrüger die Coronakrise schnell für neue kriminelle Aktivitäten genutzt, denn im Internet gibt es keine Grenzen: Sie vertreiben minderwertige Maskenimitate und nutzen die Knappheit im Bereich der Schutzausrüstung für Betrug in Millionenhöhe. Mehrere EU-Staaten berichten von einer neuen Masche, die Kriminelle für Diebstähle nutzen: Sie geben sich als medizinisches Personal aus, das Hygienemittel verteilt und verschaffen sich so Zugang zu Wohnungen. Von Behörden bestellte Schutzkleidung wird nicht geliefert, die Vorauszahlungen versickern in dunklen Kanälen.

Betrug am Telefon und an der Haustür ist weiterhin hoch im Kurs. Die Täter bringen altbekannte Maschen in Zusammenhang mit dem Coronavirus und nutzen die Unsicherheit und Angst der Bevölkerung für ihre Zwecke schamlos aus. So werde in Einzelfällen beispielsweise festgestellt, dass angebliche Mitarbeiter eines „Gesundheitsamtes“ vor Ort „kostenpflichtige und schnelle Coronatests“ anböten, um die Menschen abzuzocken.

Mit verschiedenen Betrugsmaschen versuchen Kriminelle, sich die von Bund und Ländern bereitgestellten Coronasoforthilfen zu erschleichen. Allein in den vergangenen vier Wochen seien rund 2.800 Meldungen mit Bezug zu Covid-19 bei der für Geldwäsche zuständigen Einheit des Zolls („Financial Intelligence Unit“) eingegangen, bestätigte ein Zoll-Sprecher Anfang Mai. 2300 davon enthielten das Stichwort „Soforthilfe“. Verfälschte Antragsformulare auf staatliche Soforthilfe für Betriebe führten zum Abschalten der Webseiten in einigen Bundesländern. Hunderte Anträge auf Soforthilfe für Unternehmen mit fingierten Adressen und Firmennamen in Berlin, die den arabischen Clans zugeordnet werden, führten zum einem Verlust in Millionenhöhe.

Mafia und OK wie Coronavirus

„Manche OK-Aktivitäten, wie Drogenhandel, sind durch Kontaktsperren und Reisebeschränkungen gehemmt und werden sich erst mit der Zeit wiederherstellen lassen“, heißt es im Bericht der „Global Initiative gegen Organisierte Kriminalität“. Dagegen böten sich in den Bereichen Cyber und Gesundheit neue Gelegenheiten. In Italien etwa machten sich Mafiagruppen schon seit Jahren im Gesundheitsbereich breit. „Die Mafia ist wie das Coronavirus“, zitieren die Autoren des Berichts den italienischen OK-Experten Sergio Nazzaro. „Sie kriegt dich, wo immer du bist.“

Im Bereich der grenzüberschreitenden Organisierten Kriminalität hat die Coronakrise zu ähnlichen Verwerfungen geführt wie in der legalen Wirtschaft. Geschlossene Grenzen und Reisebeschränkungen unterbrechen Lieferketten und erschweren somit den Absatz. Die organisierten Banden aus Osteuropa verüben zum Beispiel weniger Ladungsdiebstähle von LKW mittels Planenschlitzen. Gedankt sei es den massiven Grenzkontrollen.

Aussichten nach der Krise

Für Entspannung bei Ermittlern sorgen die sinkenden Zahlen dennoch nicht: Zum einen wird mit der schrittweisen Aufhebung der Beschränkungen auch die Zahl der Straftaten im öffentlichen Raum wieder steigen – auch wenn von Polizeipsychologen die Hoffnung geäußert wird, dass der „Lockdown“ etwa bei sehr jungen Straftätern zu einer langfristigen Änderung der kriminellen Gewohnheiten führen und so einen dauerhaften Effekt haben könnte. Die vermutlich langanhaltende Pflicht zum Tragen von Schutzmasken wird die Identifizierung von Tätern nach Straftaten erschweren. Die Objekt- und öffentliche Viedoüberwachung kommt an ihre Grenzen.

Neben der durch die Pandemie hervorgerufenen gesundheitlichen Krise (1. Phase) und der mittelbar durch die ergriffenen Gegenmaßnahmen entstehenden ökonomischen Krise (2. Phase) deuten aktuelle Ereignisse auf die Gefahr einer weiteren, dritten Krise hin, sagen die Wissenschaftler der Hochschule NBS Hamburg, Prof. Andre Röhl und Prof. Daniel Zerbin. Diese wird durch kriminelles Handeln, welches sich die veränderten Rahmenbedingungen zunutze macht, hervorgerufen. Hieraus könnten insbesondere für Unternehmen nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig erhebliche Risiken entstehen. Erforderlich sind daher Gegenmaßnahmen, die sowohl die Besonderheiten der aktuellen Rahmenbedingungen als auch die Erkenntnisse der Kriminalwissenschaften berücksichtigten. Um das Kriminalitätsverhalten während der Pandemie im Nachgang genauer analysieren zu können, wären Lagebilder des Bundes und der Länder wünschenswert.

Handlungsspielräume für Mafia

Zum einen droht ein „Ausverkauf“ durch Übernahme insolventer Unternehmen durch Unternehmensgiganten, zum anderen werden pleitegehende Staaten und deren gewaltige Verschuldungen für die Mafia mit ihren immensen Geldsummen auf den Kapitalmärkten riesige Handlungsspielräume eröffnen. Geldwäsche in Form von Unternehmenskäufen oder -beteiligungen oder Darlehensgeschäfte sind aus Sicht der OK aktuell erfolgversprechende Geschäftsmodelle.

Die Mafia und Parallelgesellschaften der OK, wie die arabischen Clans in Berlin und dem Ruhrgebiet, sind wie Krebsgeschwüre in unserer Gesellschaft. Die Clans erkennen unseren Rechts- und Wirtschaftsstaat nicht an. Der Rechtsstaat darf und kann nicht vor dieser Schattengesellschaft kapitulieren, sondern sollte maximale Konfrontation zeigen. Nur so kann er sein Gewaltmonopol zurückgewinnen. Im Umkehrschluss lautet also die logische Gleichung: Weniger liquides Geld der Staaten aufgrund von Schulden, mehr Macht für die Mafia.

Klaus Kapinos,, ehemaliger Geschäftsführer des Studiengangs Sicherheitsmanagement an der Hochschule der Polizei Hamburg; verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der ASWN e.V.

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