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Krisenmanagement an Hochschulen

Die wenigsten Hochschulen verfügen über ein universelles Krisenmanagement. Das kann, wie der Amoklauf von Heidelberg zeigt, aber essenziell sein.

Hochschulen sind für das Thema Krisenmanagement nur selten sensibilisiert. 
Hochschulen sind für das Thema Krisenmanagement nur selten sensibilisiert. 

Vor allem nach den Erfahrungen in der Coronapandemie fühlen sich viele Hochschulen gut auf Krisen vorbereitet, dennoch hat der Amoklauf in Heidelberg vielen Verantwortlichen nochmals vor Augen geführt, wie essenziell die Vorbereitung auf Ad-hoc-Lagen mit einem entsprechenden Krisenmanagement ist.

Häufig verlassen sich Verantwortliche von Hochschulen auf bestehende Rechtsnormen zum Brandschutz, zur Arbeitssicherheit oder zum Umgang mit Gefahrstoffen oder Ähnlichem sowie unmittelbare Behördenvorgaben. Vor eklatanten Sicherheitslücken für Studierende und Mitarbeiter, finanziellen Schäden sowie Imageverlusten würde jedoch nur ein proaktives Notfall- und Krisenmanagement schützen. Nur durch frühzeitige Vorbereitungen können vermeidbare Schäden verhindert werden.

Besondere Charakteristika Hochschule

Hochschulen verfügen meist über mehrere Standorte, sind in verschiedene Organisationsbereiche gegliedert und haben weitestgehend festgesetzte Betriebszeiten. Im Regelfall gehören ihnen Studierende und Mitarbeiter im vier- bis fünfstelligen Bereich an. Auf den ersten Blick erscheinen sie größeren Unternehmen vergleichbar. Dabei gibt es vor allem hinsichtlich der Gefahrenabwehr essenzelle Unterschiede: Die meisten Hochschulen verfügen über keine Anwesenheitskontrolle der Studierendenschaft. Oft wird nicht mal die Anwesenheit aller Mitarbeiter zentral erfasst. Anhand der Vorlesungszeiten samt anhängiger Parameter könnten zwar Prognosen über die Anzahl Anwesender gefasst werden, doch werden die wenigstens Universitäten diese in Notfällen griffbereit haben. Zumal die Gebäude - in interpandemischen Phasen - ohnehin meist öffentlich zugänglich sind.

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Neue ÜEA-Richtlinie regelt Anschluss von NGRS
Seit dem Jahr 2017 können auch Notfall- und Gefahren-Reaktions-System (NGRS) an die Polizei angeschlossen werden, was in der ÜEA-Richtlinie geregelt wird.

Problematisch ist zudem, dass Studierende keinen allgemeinen arbeitsschutzrechtlichen Unterweisungspflichten unterliegen. Sie befassen sich lediglich entsprechend ihrer Studiengänge mit besonderen Vorschriften in Laboren oder Ähnlichem. Entsprechend sind sie für Gefahrensituationen nur selten sensibilisiert. Noch dazu ist ein wachsender Anteil ausländischer Studierender (im Wintersemester 2020/2021 14,1 Prozent) zu verzeichnen. Sprachliche Barrieren und abweichende sicherheitskulturelle Hintergründe erschweren Sensibilisierungs- und Gefahrenabwehrmaßnahmen zusätzlich. Darüber hinaus werden neben Gastdozenten, welchen die spezifischen Sicherheitsabläufe nicht geläufig sind, Subunternehmen wie Sicherheitsdienste eingesetzt oder das Studierendenwerk betreibt Angebote auf den Campus. Letztere sind nur bedingt in die institutionellen Strukturen und Abläufe integriert und unterliegen auch nicht in Gänze der Weisungsbefugnis der Hochschulleitungen. Zum heterogenen Geflecht aus Anwesenden und Weisungsketten innerhalb der Hochschule kommt noch die Unterordnung unter das jeweilige Landesministerium hinzu.

Je nach Forschungsdisziplin ergeben sich weitere besondere Schutzgüter in Form von hochwertiger, mitunter exklusiver, technischer Ausstattung und in jeglicher Form vorhandener Wissensstände, die einen hohen ideellen Wert darstellen.

Oft kein adäquates Krisenmanagement vorhanden

Ob Unfall, Gewalttat oder Naturkatastrophe - viele Zwischenfälle können den Regel- und Lehrbetrieb an Hochschulen stören oder gar zum Erliegen bringen. Hier kann die allgemeine Unterscheidung in natürliche und anthropogene Ursachen beziehungsweise Gefahren herangezogen werden. Für das Krisenmanagement ist die Differenzierung hinsichtlich des räumlichen und organisatorischen Schadensausmaßes relevant. So ist zwischen „lokalen“, „globalen“ und „supra-infrastrukturellen“ Schadenshergängen zu unterscheiden. Während die erste Stufe nur einen Standort oder eine Fakultät betrifft (zum Beispiel lokaler Brand, partieller Stromausfall), wirkt sich ein globales Ereignis auf die gesamte Hochschule aus (Pandemie, Gewalttat mit Medienecho). Erreicht es die supra-infrastrukturelle Ebene, so ist die ganze Hochschule aufgrund einer Störung der externen Infrastruktur betroffen. Dies wäre infolge eines großflächigen Hochwassers der Fall.

Zentrale Anforderung der Hochschulverwaltung an die Zugangslösung war, dass Studierende nur nach Überprüfung ihres 3G-Status die Gebäude betreten können.
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Die Einteilung ist für die institutionelle Gefahrenabwehr- oder Krisenmanagementstufenplanung wichtig, die einen subsidiären Struktur- und Maßnahmenaufbau ermöglicht. Hierbei orientieren sich Hochschulen oft an der national homogenisierten Feuerwehrdienstvorschrift „FwDV 100 Führung und Leitung im Einsatz“, die in der gesamten nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr Anwendung findet. Ein Teil der Hochschulen richtet sich auch stärker an den Prinzipien des Business Continuity Managements aus. Aufgrund der individuellen Anpassung an organisatorische und örtliche Begebenheiten, findet sich, wenn denn vorhanden, letztlich häufig eine Mixtur verschiedener, teils ausländisch geprägter, Führungssysteme vor. Denn nach der Erstauswertung einer aktuellen Studie zeichnet sich bereits ab, dass mindestens der überwiegende Anteil deutscher Hochschulen kein adäquates Krisenmanagement vorhält. Viele Hochschulen wägen sich zudem in falscher Sicherheit, nachdem sie sich durch die Pandemie durchgehangelt haben. Auch wenn dies ein globales, hinsichtlich der Umsetzung teils dynamisches Ereignis darstellt, so waren den Hochschulleitungen verhältnisweise lange Aufbau-, Rüst- und Entwicklungszeiten gegönnt. Für Sofortlagen wie technische Havarien, Brände, Laborunfälle oder Gewalttaten, die ein öffentliches Interesse einschließlich Lauffeuer in den Sozialen Medien entfachen, sind die Vorbereitungen nicht ausreichend. Zumal oft keine Blaupausen aus anderen Branchen identisch umgesetzt werden können, da örtliche hochschulspezifische Begebenheiten individualisierte Maßnahmen erfordern. Beispiele sind neben den Strukturen das differenzierte Alarm- und Warnmanagement oder individuelle Aus- und Fortbildung von Personal des Notfall- und Krisenmanagements einschließlich des Krisenstabes.

Polizeiliche Lagen

Szenarien, die ein qualitatives Krisenmanagement bedingen, sind neben den „klassischen“ Naturgefahren und technischen Unfällen auch immer häufiger vorsätzliche Handlungen. Dies können Cyberangriffe sein, die IT-Ausfälle in der Klausurphase herbeiführen, aber auch schwere Gewalttaten. So kam es in den letzten zwei Jahrzehnten in Deutschland wiederholt zu Überfällen, Vergewaltigungen und gar Morden im universitären Umfeld. Der Amoklauf an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg im vergangenen Januar war leider nur der traurige, aktuelle Höhepunkt. Angesichts der immer wieder stattfindenden Amoktaten im angelsächsischen Raum und darüber hinaus muss eher von einem Trend ausgegangen werden, der weiter anhält. Ebenfalls besteht eine latente Bedrohungslage, die terroristisch motivierte Anschläge nicht ausschließt.

Bildungseinrichtungen sollten sich frühzeitig auf jegliche Szenarien vorbereiten, indem sie organisatorische Vorbereitungen treffen und Maßnahmen von der Risikokommunikation bis hin zur Trauerbewältigung vorbereiten und vor allem intern ausbilden und beüben. Neben wenigen spezialisierten Sachverständigenbüros, die sowohl Risikoanalysen und Sicherheitsaudits als auch Schulungen zu Krisen- und Notfallmanagern sowie zu Pandemiemanagern, für Stabsmitglieder, Coachings für Hochschulleitungen oder auch Stabsübungen anbieten, stehen ihnen hierbei meist die lokalen Polizeibehörden zur Seite.

Olaf Jastrob, Notfall- und Krisenmanager bei der Beratungs- und Planungsgesellschaft Jastrob GmbH & Co. KG

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