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Die Quadratur des Kraiss 20. April 2015

Lebt Indect?

Die Polizeibehörden der Länder wollen weiter aufrüsten. Während notwendige Personalstellen abgebaut werden, sollen in der Prävention entstehende Lücken durch intelligente Softwarelösungen ersetzt werden. Das Schlagwort „Predictive Policing“ geistert durch die Medien.

In einzelnen Bundesstaaten der USA wird bereits mit „Precrime Observation“ gearbeitet. Angeblich liegen positive Ergebnisse vor. Die Bayern, traditionell eher mit der Lederhose verbunden, haben sich vor kurzem entschlossen, es mal mit der amerikanischen Jeans zu versuchen und setzen seit geraumer Zeit ebenfalls ein vergleichbares Programm genannt „Precobs“ ein (siehe PROTECTOR 3/2015, Seite 14). Es soll den Blick in die Zukunft ermöglichen und auf Planquadraten von 250 mal 250 Metern vorhersagen, ob dort eine Straftat stattfinden könnte.

Es wird erzählt, dass die Idee zu diesem Programm auf den Blockbuster „Minority Report“ aufbaut, in dem die Polizei Straftaten mittels einer Software „Precrime“ voraussehen und dadurch verhindern kann. Nun ja, es muss nicht unbedingt Doris Day und Rock Hudson in der Filmkomödie „Bettgeflüster“ sein, aber was Tom Cruise sich in dem Film leistete, passt wohl eher zur Scientology. Ein Staat, in dem Abtrünnige und Kritiker möglichst früh erkannt und ausgeschaltet werden könnten? Wie toll wäre das denn, man könnte sich ja den eigenen Geheimdienst sparen! Da wären wir wieder beim Thema Personalkosten.

Verrückt nach mehr

Die Polizeibehörden sind tatsächlich verrückt nach mehr, allerdings nicht nach mehr Personal. Sie sind verrückt nach Lösungen, die man mit Daten füttern kann und nicht mit Gehältern. Verrückt nach einer Software, die nicht streiken, auch nicht widersprechen kann und der man zur Not die Schuld in die Schuhe schiebt. Es ist also nicht besonders verwunderlich, aber doch bedenklich, dass auch Polizeibehörden anderer Länder bereits reges Interesse an den Versuchen der Bayern zeigen. Es liegen zwar noch keinerlei Erkenntnisse vor, dennoch will auch Nordrhein-Westfalen seinen Polizisten ebenfalls den Blick in die Glaskugel ermöglichen. Auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin sagte Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann jüngst, und das fast etwas entschuldigend: „Alle Bundesländer sind daran interessiert.“

Irgendwie erinnert mich das an manche Filmszenen, in der ein williger Politiker oder Wissenschaftler sagt: „Jemand muss es doch tun“. Das LKA in Düsseldorf hat das Projekt übernommen und will die Entwicklung einer Software ausschreiben. Die Dynamik ist auf der einen Seite sehr bemerkenswert, auf der anderen Seite ist mir etwas mulmig zumute, mulmig deshalb, weil es nicht allzu lange her ist, das ein anderes Projekt für Aufregung in der Öffentlichkeit sorgte: Indect, das allumfassende Programm der EU, mit dem Gewalt, Bedrohungen und abnormales Verhalten automatisch erkannt werden soll.

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George Orwell lässt grüßen

Die gleichnamige Dystopie von George Orwell wurde im „Orwell- Jahr“ 1984 mit John Hurt in der Hauptrolle gedreht. Der Film war übrigens die letzte Filmrolle Richard Burtons. Im Film wird das fiktive Reich Ozeanien von einer Partei und dem Großen Bruder regiert. Alle Bürger werden auf ihre Treue zum System überwacht. Das Ministerium für Wahrheit verwaltet alle Nachrichten und Informationen, die nach den Vorgaben der Regierenden beliebig zu Gunsten der Partei kräftig verdreht werden. Nichts bleibt verborgen, alles wird erfasst, die Kameras sind überall.

So oder so ähnlich soll auch Indect alles erfassen und auswerten. Automatisierte Suchroutinen sollen Gewalt, Bedrohungen und abnormales Verhalten erkennen. Für die Polizei soll es zum automatisierten Werkzeug werden, um „verschiedenste bewegliche Objekte“ zu observieren. Kurz gesagt: Indect soll Daten auswerten, um die Bewegungen von Menschen, Fahrzeugen oder Schiffen nachzuvollziehen und anhand von Verhaltensmustern mögliche Straftaten frühzeitig erkennen und an die zuständigen Behörden weitermelden. Wehe dem, der neben seinem Fahrzeug allzu lange nach seinem Autoschlüssel sucht oder vor einer Bank länger als „normal“ auf seine Frau oder Freundin wartet.

Nun, George Orwell ist tot, Indect lebt und „Predictive Policing“ wird gerade geboren. Als Sicherheitsexperte müsste man sich eigentlich freuen. Als Datenschützer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wenn nur diese Heimlichtuerei nicht wäre. Vor dem Hintergrund der allumfassenden Datensammlung und Datenanalyse macht mit Blick in Richtung Politik und Polizei bereits ein Schlagwort die Runde: „Das schmutzige Geheimnis der Polizei“. So manchem Politiker wünscht man den realistischen Weitblick von George Orwell. Ich wünsche mir ab und zu vor meinem Haus mal einen Polizisten zu Fuß.

Volker Kraiss, Senior Security Consultant, Kraiss & Wilke – Security Consult

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