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Limit überschritten?

Die Gewerkschaft der Polizei und der Bund Deutscher Kriminalbeamter schlagen Alarm. Aufgrund der zusätzlichen flüchtlingsbedingten Herausforderungen befinde sich die Polizei in einem Ausnahmezustand. Wichtige polizeiliche Aufgabenstellungen könnten zum Teil mit Hinweis auf „die anderweitige Bindung des Personals“ nicht zeitgerecht abgearbeitet werden können, wie auch aus der Wirtschaft zu hören sei.

Allein die Registrierung der Flüchtlinge bringt die eingesetzten Polizeikräfte derzeit an ihre Grenzen.
Allein die Registrierung der Flüchtlinge bringt die eingesetzten Polizeikräfte derzeit an ihre Grenzen.

Laut Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist das „Limit lange überschritten“, wie in der jüngsten Ausgabe des Mitgliederorgans „Deutsche Polizei“ zu lesen ist. „In den sogenannten Bearbeitungsstraßen sind die Kollegen seit Wochen restlos überfordert, schrubben Überstunden ohne Ende und versuchen, unter schwierigen Arbeitsbedingungen täglich ihr Bestes zu geben“, wird die aktuelle Situation geschildert.

Die Bundespolizei sei „kaum mehr in der Lage, die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erledigen“. Allein an der deutsch- österreichischen Grenze fehlten 800 Stellen. „Aus ganz Deutschland werden Bundespolizisten abgezogen, um in Bayern zu unterstützen und die dortigen Lücken zu schließen. Das heißt aber auch, dass andernorts das Personal fehlt und wir dort unsere Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können“, wird der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Jörg Radek zitiert.

„Der bei Politik und Verwaltung beliebte Personal-Verschiebebahnhof funktioniert nicht mehr“, heißt es weiter in der „Deutschen Polizei“. Die offenbaren Lücken in der Personaldecke würden dadurch kompensiert, dass andernorts auf keinesfalls unwichtige Maßnahmen verzichtet werde. So hätten Anfang September am Grenzbahnhof Rosenheim vollbesetzte Züge unkontrolliert durchgelassen werden müssen, weil die zuständigen Kräfte „mit der Versorgung und Registrierung der Asylbewerber vollständig ausgelastet gewesen“ seien. „Eine neue, eigentlich unhaltbare Situation.“

Die Beamten der Länder und der Bundespolizei seien des Weiteren pausenlos im Einsatz, „um beispielsweise Flüchtlingsunterkünfte vor rechten Aufmärschen zu schützen, Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen in den Gebäuden und Zeltlagern selbst zu unterbinden“, gegen skrupellose Schleuser oder wegen zahlreicher Brände in Flüchtlingsheimen zu ermitteln.

„Die Polizei im Bund und in den Ländern arbeitet am Limit und das nicht erst seit kurzem“, bilanziert auch der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz. Jahrelange Warnrufe, „dass der ungebremste Stellenabbau und das Kaputtsparen der Polizei verantwortungslos sind und nicht mehr lange gut gehen werden“, seien nach seinen Worten größtenteils ungehört verhallt.

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Auswirkungen auf die Gesellschaft

Mit welchen Kriminalitätsgefahren werden in dieser Situation intensivster Flüchtlingsbewegungen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft konfrontiert? Ein Bundeslagebild gibt es derzeit noch nicht, doch es wird daran gearbeitet. Es sei zwischen Bund und Ländern Einigkeit erzielt worden, „dass ein möglichst einheitliches Lagebild zur Kriminalität von und gegen Flüchtlinge notwendig ist, um darauf aufbauend potenzielle Handlungserfordernisse ableiten zu können“, so eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA).

Es ist aber bereits heute unzweifelhaft, dass im räumlichen Umfeld von Erstaufnahmeeinrichtungen die Anzahl der Straftaten, darunter insbesondere Eigentumskriminalität, aber zum Teil auch Gewaltdelikte, erheblich angestiegen ist. Ein Beispiel dafür ist die niedersächsische Großstadt Braunschweig, in der sich in kürzester Zeit die Diebstahlsdelikte (Wohnungseinbrüche, Taschendiebstähle, Ladendiebstähle in der Innenstadt) glatt verdreifachten. Die zunächst intern Soko „Asyl“ genannte zwölfköpfige „Soko Zerm“ (Zerm steht für zentrale Ermittlungen) bearbeitete bis Ende Oktober 518 Straftaten und nahm 55 Festnahmen vor.

Jedoch wäre es falsch, alle Flüchtlinge pauschal unter Generalverdacht zu stellen. Polizeipraktiker und Sicherheitsexperten sind sich aber darin einig, dass die von extremistischen Kreisen gerne beschworenen kriminellen Gefahren differenziert zu sehen sind. Zu den Täterkreisen gehören - so die Erfahrungen in Braunschweig und andersorts- nur selten Kriegsflüchtlinge. BKA-Präsident Holger Münch brachte es auf den Punkt: Syrer und Iraker gelten überwiegend als gesetzestreu und machten der Polizei wenig Probleme. Ganz anders sehe dies aber bei „unbegleiteten Jugendlichen“ sowie Personen aus dem Umfeld krimineller Banden aus. Viele der Jugendlichen hätten sich als Straßenkinder „auch mit Hilfe von Kriminalität“ durchschlagen müssen und beschäftigten die Sicherheitsbehörden „sehr, sehr stark“.

Tätergruppen

Der BDK-Bundesvorsitzende und OK-Experte Andrè Schulz nennt weitere Erkenntnisse aus dem Bundesgebiet. Die Täter seien in der Regel allein reisende junge Männer aus dem Balkan, überdurchschnittlich häufig aus dem Kosovo, aus Georgien und Nord- und Zentralafrika. „Einige Täter geben sich perfiderweise als Syrer aus, werden aber bei der Vernehmung aufgrund ihres Akzentes von den Dolmetschern schnell als aus Tunesien, Algerien oder Marokko stammend entlarvt.“

Wie der studierte Kriminologe weiter ausführt, zeigten die bisherigen Erkenntnisse aus dem Polizeialltag, „dass rund zehn Prozent der Asylbewerber strafrechtlich auffällig werden und Taten aus dem Bereich der Eigentums-, Gewalt- und Drogendelikte begehen“. Zirka 15 Prozent der Täter fielen dabei mehrfach auf. „Im Ergebnis werden diese Taten die Kriminalstatistik aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr im sechsstelligen Bereich anwachsen lassen“, so die Einschätzung von André Schulz.

Täter aus den Reihen der Asylbewerber müssten schnell identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden können, „damit nicht die breite Mehrheit der Zugewanderten in Misskredit gebracht werden kann, was wieder Wasser auf die Mühlen verblendeter rechter Zeitgenossen wäre“. Politiker ohne erkennbaren Plan und ohne Antworten auf die offenen Fragen seien „der Nährboden für Erscheinungen wie Pegida und Co.“, mahnt der BDK-Vorsitzende.

Vor extremistischen Auswüchsen warnt auch das BKA. „Inhaltlich scheint das Agitationsfeld rund um die Flüchtlingslage geeignet, innerhalb des ansonsten sehr heterogenen rechtsextremistischen Spektrums einen ideologischen Konsens zu generieren. Insofern rechnen wir damit, dass die rechte Szene ihre Anstrengungen, die darauf abzielen, die Asylpolitik polarisierend aufzubereiten und für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren, nochmals verstärkt“, analysiert eine Sprecherin der Bundesoberbehörde.

Wachsendes Sicherheitsrisiko

Als massiv sind auch die Gefahren einzuschätzen, die von vermutlich zehntausenden Flüchtlingen ausgehen, die unkontrolliert und ohne Erfassung nach Deutschland eingereist sind. André Schulz berichtet: „Zahlreiche Asylbewerber sind mittlerweile aus Aufnahmeeinrichtungen verschwunden und unbekannten Aufenthaltsortes. Einige sind weiter nach Skandinavien gereist, aber viele wohnen derzeit auch unangemeldet bei Freunden und Verwandten in Deutschland. Die Sicherheitsbehörden haben darüber Erkenntnisse, dass unter den Flüchtlingen mehrere Djihad-Rückkehrer sind. Nur kennen wir längst nicht alle. Damit sind die tatsächliche Gefährdungslage und das Risiko für terroristische Anschläge in Deutschland derzeit nicht mehr seriös zu beantworten.“

Ganz ohne Zweifel: Hinter den meisten Kriegsflüchtlingen liegen furchtbare Schicksale, deren Schilderungen selbst für hartgesottene Polizeibeamte und Sozialarbeiter schwierig zu verarbeiten sind. Es ist nach europäischen Maßstäben unfassbar, was diese Menschen erleben mussten. Unzweifelhaft ist, dass die meisten dieser Flüchtlinge zu Recht ihren zu Todeszonen geratenen Heimatländern den Rücken kehrten. Dennoch darf die Frage nicht irrelevant sein, ob sich ein Zustrom in sechs- bis siebenstelligen Größenordnungen unter den derzeitigen personellen Kräfteverhältnissen der Sicherheitsbehörden bewältigen lässt, ohne dass die Innere Sicherheit nachhaltig Schaden nimmt. Einer Innere Sicherheit, der die Flüchtlinge im Übrigen genauso bedürfen wie Staat, Wirtschaft und Gesellschaft auch.

Klaus-Henning Glitza

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