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Die Quadratur des Kraiss 13. März 2014

Nach unten

Vor mehr als dreieinhalb Jahren brach bei der Loveparade eine Massenpanik aus, bei der 21 Frauen und Männer zu Tode kamen und mindestens 500 Personen teils schwer verletzt wurden. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat nun ein weiteres Kapitel der Katastrophe aufgeschlagen.

Insgesamt zehn Personen der Stadtverwaltung und des Veranstalters sollen sich vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft hat sie wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung angeklagt. Ihnen werden schwere Fehler bei der Planung, der Genehmigung und der Überwachung von Sicherheitsauflagen vorgeworfen. Ohne Ausnahme haben alle Angeklagten die Anschuldigungen bestritten. Gegen den damaligen Duisburger Oberbürgermeister sowie den Geschäftsführer der Veranstalterfirma wurde nicht ermittelt.

Die Haftungskaskade zeigt nach unten

Da sie keinen Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder Erteilung rechtswidriger Genehmigungen genommen haben, besteht laut Staatsanwaltschaft kein Grund, Ermittlungen gegen den früheren Oberbürgermeister Sauerland und den Geschäftsführer der Firma Lopavent einzuleiten. Im Gegenteil, sie durften darauf vertrauen, dass die für die Durchführung verantwortlichen Personen das Vorhaben auf Grund ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß planen, prüfen und durchführen würden. Wie so oft, zeigt also auch in diesem Fall die Haftungskaskade nach unten.

Allen war und ist klar, dass von Seiten des Oberbürgermeisters und des Geschäftsführers erheblicher Druck auf die eigenen Mitarbeiter ausgeübt wurde. Die Veranstaltung musste sein, nicht irgendwo, sondern genau dort. Damit hatten genau die Personen den schwarzen Peter, die nun auf der Anklagebank sitzen werden. Wurden die Risiken nicht erkannt oder bewusst ausgeblendet, weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Hat man sich von Sätzen leiten lassen wie etwa: „So etwas wird es schon nicht geben. Das wird schon glatt gehen“? Wenn ja, ähnelte die Risikobetrachtung einem Autofahrer, der trotz beschlagener Windschutzscheibe vorwärts fährt und sich dabei im Rückspiegel orientiert.

Duisburg kann überall sein

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Wie so oft wurde auch in Duisburg der Satz zitiert: „Die Ursache war eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ Wohlbemerkt, diese Feststellung ist kein Hinweis auf ein nicht beeinflussbares Schicksal, sondern das Eingeständnis von Fehlern in der Organisation und Durchführung. Automatisch werden Versicherung und Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen. Der Vorwurf des Organisationsverschuldens ist schnell erhoben und trifft in der Regel auch zu. Schnell wird hinterfragt, ob Fehler bei der Bewertung von Schwachstellen und Risiken gemacht wurden, ob die Aufbau- und Ablauforganisation nicht stimmte oder ob fehlende, falsche oder nicht aktualisierte Leitlinien, Richtlinien, Verfahrens- und Arbeitsanweisungen die Ursache waren.

Jedem Sicherheitsverantwortlichen sollte bewusst werden: Duisburg kann überall sein. Getreu dem Motto von Curt Emmerich, einem deutscher Arzt und Schriftsteller „Ich war mir meiner Sache so sicher und gerade diese Sicherheit war es, der alle Zweifel entsprangen“, sollten sich mit der Durchführung von sicherheitsrelevanten Projekten betraute Personen darüber klar sein, dass die Haftungsverantwortung auf der operative Ebene liegt. Hier erfolgen die Schwachstellenanalysen und die Risikobewertungen, hier werden die Details der technischen, der baulichen und der organisatorischen Maßnahmen geplant und umgesetzt, hier werden die Verfahren und Prozesse eines Notfalls entwickelt. Hier muss der Detaillierungsgrad hoch verdichtet und gerichtsfest dokumentiert werden. Organisationsfehler auf dieser Ebene können sich im Ereignisfall katastrophal auswirken und sind in der Regel den Durchführungsverantwortlichen direkt zuzuordnen.

In der Zwickmühle

Durchführungsverantwortliche befinden sich oft in der Zwickmühle. Auch die Sicherheit kommt in Zeiten eng geschnürter Budgets nicht ungeschoren davon. Bereits verabschiedeten Maßnahmen werden oft verschoben, gestreckt oder ganz gestrichen. Werden dabei Sicherheitsmängel billigend in Kauf genommen, übernimmt der Verantwortliche ein erhebliches persönliches Risiko. Zeigt er die Sicherheitsmängel auf, muss er die Notwendigkeit zu deren Beseitigung nachvollziehbar belegen und dokumentieren. Die Risikobewertung ist dazu ein geeignetes Mittel und dokumentiert gerichtsfest, dass Mängel erkannt, bewertet und den Entscheidern angezeigt wurden. Und auf der Anklagebank würden dann die verantwortlichen Entscheider sitzen.

Volker Kraiss, Senior Security Consultant, Kraiss & Wilke – Security Consult

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