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Neu justieren

Die demografische Entwicklung in Deutschland verlangt auch vom Brandschutz neue Definitionen und Überlegungen. Das wurde wieder ganz deutlich auf dem diesjährigen „Symposium Baurecht und Brandschutz“ von Bureau Veritas in Frankfurt am Main.

Kinder sind weniger resistent gegenüber Kohlenmonoxid und andere Rauchgasbestandteile.
Kinder sind weniger resistent gegenüber Kohlenmonoxid und andere Rauchgasbestandteile.

Dass auf der einen Seite Kindertagesstätten (mit ihren aktuell von der Politik verlangten Angeboten für Unter-Dreijährige) sowie Wohnformen für Menschen mit Pflege- und/oder Betreuungsbedarf neu justiert werden sollten, darauf muss ein größerer Fokus gerichtet werden. Das jedenfalls legte – sehr engagiert – in seinem Referat Prof. Heribert Liborius Jünemann von der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen dar. Er ist zugleich Vorsitzender des Prüfungsausschusses für Prüfsachverständige Brandschutz in Fulda.

Geringere Selbstrettungsfähigkeit

Eindringlich legte Jünemann dar, dass Kinder – ebenso wie Alte – „erwartungsgemäß geringer resistent gegenüber Kohlenmonoxid und andere Rauchgasbestandteile“ sind. Und sie „verfügen erwartungsgemäss über eine geringere Selbstrettungsfähigkeit“. Sie seien daher im Brandfall auf passive (lenken, führen) sowie aktive Hilfe (tragen, fahren) durch das betreuende Personal angewiesen. Vor allem aber machte Jünemann klar, dass es sich sowohl bei „Tageseinrichtungen für Kinder mit dem Aufenthalt von Kindern dienenden Räumen außerhalb des Erdgeschosses um Sonderbauten“ handelt. Außerdem gelten als Sonderbauten alle „Krankenhäuser und sonstige Anlagen zur Unterbringung oder Pflege von Kindern, alten, kranken, behinderten oder aus anderen Gründen hilfsbedürftigen Personen“.

Da Rettungsversuche über Treppenräume „nicht erfolgversprechend“ seien, müsste Brandfrüherkennung und Alarmierung zum Standard in allen solchen Einrichtungen und in allen Bundesländern werden. Alle Räume von Tageseinrichtungen für Kinder müssten nach Jünemann in Anlehnung an die DIN 14767 mit Rauchwarnmeldern gemäß DIN 14604 ausgestattet und miteinander zu vernetzen sein. Ferner gelte es bei allen Brandschutzplanungen zu bedenken, dass schon nicht-hilfsbedürftige Menschen mit drei Atemzügen höchstens eine Strecke von 15 Metern zurücklegen können – um wie viel weniger also junge oder alte...

Sofortige Evakuierung

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Im Brandfall, so Jünemann plastisch und sarkastisch, dürfe man weder in Einrichtungen für Kinder noch in solchen für alte Menschen „auf die Feuerwehr warten – denn sonst bleibt der Feuerwehr nur noch Bergung“. Sofortige Evakuierung in sichere benachbarte Bereiche oder ins Freie sollte möglichst sofort durch das Personal erfolgen. Altenpflegeheime oder ähnliche Einrichtungen für ältere Menschen im Sinne des Heimgesetzes sind Sonderbauten. Ebenso müsse „in der Regel von einem Sonderbau ausgegangen werden“, wenn mehr als sechs Personen innerhalb einer Nutzungseinheit gepflegt werden.

Auch Tagespflege-Einrichtungen könnten unter diesem Gesichtspunkt „Sonderbaueigenschaft erlangen“. Allerdings räumt Jünemann auch ein, dass Unterbringung und Pflege dann nicht zutreffen, wenn sich die Betreuung auf hauswirtschaftliche Versorgung, Verpflegung oder allgemeine Dienstleistung, wie Notruf oder Hausmeistertätigkeit (wie in Wohnanlagen des betreuten Wohnens), beschränkt. Insgesamt solle man bei der Umsetzung aller Richtlinien „nicht so pingelig“ sein, fordert Jünemann. Vom Gesetzgeber genannte Anforderungen sollten „nicht um jeden Preis hochgepusht“ werden – immerhin seien bei allen Planungsvorgaben „alternative Konzepte nicht ausgeschlossen“.

Spielerisch vorbereiten

In Kindertagesstätten, so wurde an anderer Stelle des Symposiums erläutert, sollten die Kinder spielerisch darauf vorbereitet werden, wie im Brandfall eine schnelle Rettung vor sich gehen könnte. Sind zum Beispiel Rutschen so angelegt, dass sie vom oberen Geschoss auch spielerisch genutzt werden, sollten schon die Kleinsten lernen, dass man solche Rutschen auch im Falle eines Feuers zur Rettung nutzen kann.

Bei der Planung von Kindertagesstätten muss laut Jünemann der notwendige Flur in zwei etwa gleich große Rauchabschnitte eingeteilt sowie mit dicht- und selbstschließenden Türen versehen sein. Die Rauschabschnitte sollen so bemessen sein, dass bereits in einem davon alle Kinder und Betreuer dort (vorübergehend) sicheren Schutz finden. Jeder Abschnitt muss dann zu einem eigenen notwendigen Rettungsweg führen. Jeder Kinderaufenthaltsraum verlangt nach einem direkten Zugang ins Freie oder bei Räumen über dem Erdgeschoss nach einer Außentreppe oder einem offenen Gang.

Wobei es in der „Handlungsempfehlung zur hessischen Bauordnung“ heißt, dass als Erdgeschoss eines zu ebener Erde liegendes Geschoss eines Gebäudes verstanden wird. Der „Rohfussboden“ eines solchen Erdgeschosses darf danach maximal zwei Stufen (etwa 35 Zentimeter) über oder unter der natürlichen oder genehmigten Geländeoberfläche liegen. Für Altenpflegeheime gilt im Prinzip fast immer Ähnliches. Allerdings betont Jünemann, dass betreute Wohngemeinschaften für schwer erziehbare Jugendliche oder Menschen mit Drogenproblemen keine Sonderbauten sind, weil die Selbstrettungsfähigkeit dieses Personenkreises vom Grunde her nicht eingeschränkt ist. Auch alle „Nutzungseinheiten“, in denen Pflege oder Betreuung in Familie erbracht werden, fallen danach nicht unter den Sonderbautatbestand.

Georg Ubenauf

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