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Qualität verkaufen

Lässt sich Qualität heute noch verkaufen? Oder haben Hersteller ihre Qualitätsansprüche selbst längst „verkauft“? Eine kritische Ausgangsfrage, der sich das Forum Videosicherheit 2017 angesichts weiter fallender Preise widmete. Welche Auswirkungen das auf die Marktbeteiligten hat und wie sich diese neu aufstellen können, war Kern der Diskussion.

Teilnehmer des ersten Tages (v.l.): Michael Haas, Volkhard Delfs, Andreas Albrecht, Dirk Ostermann, Thorsten Wallerius, Bertrand Völckers, Stefan Bauboeck, Wilhelm Fischer, Waldemar Gollan, Rene Reinhardt, Gerhard Harand
Teilnehmer des ersten Tages (v.l.): Michael Haas, Volkhard Delfs, Andreas Albrecht, Dirk Ostermann, Thorsten Wallerius, Bertrand Völckers, Stefan Bauboeck, Wilhelm Fischer, Waldemar Gollan, Rene Reinhardt, Gerhard Harand

Zweifelsohne sind anhaltende Veränderungen im Markt der Sicherheitstechnik und insbesondere der Videotechnik zu beobachten. Anbieter sehen sich einem zunehmenden Preisdruck und gleichzeitig steigenden Ansprüchen an Funktionalität und Bedienkomfort ausgesetzt. Moderator Dirk Ostermann eröffnet die Diskussion am ersten Tag des Videoforums mit genau diesem Aspekt: „Die Hardwaremargen schwinden weiter, die Konkurrenz aus dem Billigsegment steigt – wie muss man sich als hochwertiger Videoanbieter künftig aufstellen, um langfristig bestehen zu können? Zählt Qualität überhaupt noch als Verkaufsargument? Und wie lange werden noch ausreichend hohe Margen erzielt, damit sich Distributoren und Errichter halten können?“

Wachsender Markt, sinkende Preise

Für Waldemar Gollan von Arecont Vision ist der Preisaspekt immer in Relation zur Qualität zu sehen: „Unglücklicherweise sehen wir seit einiger Zeit im Markt der IP-Megapixel- Kameras eine gegenläufige Entwicklung zwischen Qualitäts- und Preisunterschieden. Vor einigen Jahren war der Qualitätsvorteil eines Premium-Herstellers noch beispielsweise 30 Prozent, und der Preisunterschied betrug aber nur 15 bis 20 Prozent. In der Zwischenzeitlich ist der Qualitätsvorteil auf zum Beispiel 20 Prozent geschrumpft, da die preiswerteren Produkte deutlich verbessert wurden, während sich aber der Preisunterschied nahezu verdoppelt hat. Diese Entwicklung bedeutet, dass Hersteller wie Arecont Vision die Unterstützung der Systemintegratoren intensivieren müssen, um gemeinsam den Endkunden die je nach Anwendung durchaus relevante Qualitätsvorteile darstellen zu können.

Wilhelm Fischer, Geschäftsführer, Netzwerkservice-Fischer
Volkhard Delfs, Sales Engineer & Trainer, Panasonic Marketing Europe GmbH
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Gerhard Harand, Wehrhan TPS Sicherheitstechnik GmbH
Thorsten Wallerius, Key Account Team Leader DACH, Hikvision

Wir sehen nach wie vor, dass die Themen Qualität und Cybersecurity für Endkunden und Integratoren grundsätzlich einen hohen Stellenwert haben und dies auch gezielt hinterfragt wird.“ Bertrand Völckers von Flir skizziert die Sicht eines Anbieters von Wärmebildtechnik: „Der Markt für Wärmebildkameras ist in den letzten zehn Jahren um ungefähr 25 Prozent pro Jahr gewachsen. Inzwischen haben auch andere Hersteller den Bereich Wärmebild als Wachstumsmarkt entdeckt. Als Marktführer mit den größten Stückzahlen und geringsten Produktionskosten konnte Flir sich in der Vergangenheit leicht an sinkende Preise anpassen, aber inzwischen ist für alle Marktteilnehmer eine Grenze erreicht, die schwerer zu unterschreiten ist. Durch die Übernahme von „dvtel“ vor einem guten Jahr ist Flir inzwischen in der Lage, Kundenwünschen zu entsprechen und zum Beispiel Komplettlösungen für Perimeterüberwachung anzubieten und damit natürlich auch den Umsatz zu erhöhen.“ Stefan Bauböck von Bosch Sicherheitssysteme glaubt an Adaption und Spezialisierung: „Der Markt muss sich permanent neu aufstellen und das tut er auch. Es existiert eine Vielzahl an Herstellern, die unterschiedliche Segmente abdecken. Einige fokussieren sich auf höherwertige Anlagen, andere auf das Niedrigpreissegment. Hieraus lassen sich bestimmte Strategien ableiten. Eine davon ist sicherlich, dass man nicht mehr hunderte an Errichtern betreut, sondern sich vielmehr auf gewisse Segmente zurückzieht. Anders lässt sich die Marktpenetration nicht mehr handhaben.“

Billigheimer als Sündenbock?

Moderator Ostermann begibt sich auf Spurensuche nach den Ursachen des Preisverfalls: „Ist das Sinken der Margen eine Folge der stärkeren Präsenz asiatischer Hersteller im deutschen Markt? Werden Kunden durch vermeintliche Billigangebote verführt? Und rechnet sich das wirklich?“ Wilhelm Fischer beschreibt seine Erfahrungen: „Mir scheint, es hat sich in den letzten Jahren schon ein bisschen die Ansicht durchgesetzt, billiger sei besser. Was aber viele Kollegen nicht bedenken: Wenn man eine Kamera für 1.200 Euro verkauft, kann man auch eine Montage für 200 bis 300 Euro in Rechnung stellen. Wie soll das bei einer Kamera gehen, die selbst nur 200 Euro kostet? Das ist schon ein Problem, dass die Hersteller die Preise so weit gesenkt haben.

Es ist eine harte Aussage, aber mit 300-Euro-Kameras kann ich kein Geld verdienen, nicht mal mit 30 Prozent Marge. Dieser Trend zu sinkenden Hardware-Preisen wird auch durch starke asiatische Anbieter mitgeprägt. Aber eine pauschale „Schuldzuweisung“ wäre ebenso falsch, denn asiatische Hersteller sind nicht zwangsläufig Billigheimer.“ Throsten Wallerius von Hikvision hakt ein: „Wir müssen erst einmal definieren, wie ein Wort wie billig zu verstehen ist. Meint man preisgünstig oder minderwertig? Und bei letzteren fühlen wir uns ganz klar nicht angesprochen. Wir sind natürlich ein asiatisches Unternehmen, wie viele andere auch, und agieren global in unterschiedlichsten Märkten und das als Weltmarktführer auf technischem wie qualitativen sehr hohem Niveau. Und so gibt es natürlich Lösungen, die eher niedrigpreisig sind. Gleichzeitig bieten wir gehobene Produktlinien, die auch bei uns bei Leibe nicht 300 Euro Listenpreis kosten. Wir nutzen modernste Technologien, sind in vielen Softwarelösungen integriert, haben Low-light-Modelle, Thermalkameras, PTZs mit Lasereinheit und vieles mehr. Da ist man bei keinem Produkt im günstigen Bereich. Es mag vielleicht im Vergleich zu einem anderen Hersteller noch ein bisschen günstiger sein, aber billig ist das noch lange nicht.“

Fernost, ein weites Feld

Volkhard Delfs von Panasonic gibt zu bedenken: „Fernost ist ein großer Bereich, und Panasonic ist eindeutig ein asiatisches Unternehmen. Aber was die Margen selbst angeht, so muss man sagen, Panasonic ist nicht der klassische Billiganbieter, das liegt uns eher nicht. Das wird sich auch nicht so leicht ändern. Unsere Margen haben sich im Großen und Ganzen nicht so stark verändert. Es gibt durchaus auch Kunden, die sagen: Ich möchte gar nichts Billiges haben, sie können die Produkte verkaufen und stehen dafür ein. Die machen lieber ein bisschen weniger, dafür aber hochwertig und gut.“ Für Rene Reinhard von Dahua sollte man Produktangebot und Herkunft der Hersteller in der Betrachtung nicht zu eng verknüpfen„Wenn man sich unser Produktspektrum ansieht, dann ist es so, dass es immer mehr in den hochwertigeren Bereich aufsteigt. Wir haben Produkte, die sehr hochpreisig sind, weil wir hierfür modernste und teilweise auch spezielle Technologien verwenden. Insgesamt verfügen wir über nahezu 6.500 Produkte, die sämtliche Preisklassen abdecken.“ An der Wahrnehmung durch den Errichter und Kunden ändere das jedoch wenig, findet Gerhard Harand vom österreichischen Distributor Wehran TPS: „Man sollte einen generellen Trugschluss vermeiden, denn ein Kunde, der 20 Kameras installieren möchte, wird bei einem um die Hälfte niedrigeren Kamerapreis dennoch nicht plötzlich 40 Stück installieren. Über den Preis wird nicht unbedingt mehr an Quantität erzeugt. Man müsste also als Errichter viel mehr an Anlagen verkaufen, um den gleichen Umsatz zu erzeugen. Das zieht jedoch viel mehr Service nach sich, den er leisten muss. Vielleicht bleibt ja die Marge prozentual gleich, aber das bringt nichts, wenn man nicht mehr verkaufen kann und die Preise nach unten gehen.“

Waldemar Gollan, Key Account Manager, Arecont Vision
Michael Haas, Geschäftsführer, Videor E. Hartig GmbH

Mehr als nur Bildqualität

Für Volkhard Delfs wird der Preisverfall durch andere Einflüsse begünstigt: „Die „Billigheimer“ sind nicht die Kollegen aus China, die hier am Tisch sitzen, sondern das sind diejenigen, die in den Supermärkten und Baumärkten auftauchen und für ganz wenig Geld Produkte auf den Markt werfen. Bei denen weiß man zwar nicht, wie lange sie halten, aber die Bildqualität ist erst einmal nicht so schlecht, wie man es erwarten würde. Das ist natürlich ein Punkt, der uns das Leben etwas schwer macht, denn diese niedrigen Preise sind in der Welt, und die Kunden erwarten das dann zum Teil auch.“ Wilhelm Fischer stimmt zu: „Wir werden konfrontiert mit diesen Billigkameras aus dem Supermarkt, aber die kann ich natürlich nicht in ein professionelles System integrieren. Dennoch wird der Kunde vom Preis verführt. Ich habe auch etliche Kollegen, die beim Punkt Qualität nicht weit genug denken. Sie sehen sie nur im Sinne von Qualität des Bildes, aber es geht auch um Servicequalität, Langlebigkeit und das ganze Drumherum.“ Hier sieht auch Bertrand Völckers Schwachpunkte: „Man sollte auch an Wartung, Reparatur, Ersatzteile und Verfügbarkeit denken. Bei einer Kamera, die 2.000 Euro kostet, kann man das alles gewährleisten, aber wie sieht es im günstigen Segment aus? Werden da Ersatzteile über Jahre vorgehalten? Kann man überhaupt erwarten, dass man eine 300-Euro-Kamera repariert?“ Gerhard Harand ist skeptisch: „Das Thema löst sich kaufmännisch, denn eine Kamera, die im Einkauf vielleicht nur 100 Euro kostet, wird niemand reparieren. Wenn sie nach zwei Jahren defekt ist, dann tauscht man sie einfach aus. Im Billigsegment werden Kameras zum Wegwerfprodukt.“

Services als Ausweg

Für Errichter stelle sich die Situation nicht so dramatisch dar, wie gemeinhin angenommen, findet Wilhelm Fischer von Netzwerkservice-Fischer: „Ich glaube, dass eher die Hersteller ein Problem mit den Margen haben, denn als Errichter hat man außer der Hardware noch weitere Möglichkeiten, Umsatz zu generieren. Man kann diverse Dienstleistungen anbieten, die auch nachgefragt werden. Im Grunde gibt es sogar sehr viel Beratungsbedarf, der uns viel Zeit kostet und und manchmal gar nicht so viel einbringt, vor allem wenn man an Privatkunden denkt. Im Projektgeschäft mit Unternehmen kann man zunehmend schon Dienstleitung verkaufen. Deshalb kann ich nur sagen: Margen-Probleme habe ich persönlich nicht, aber – wie man hört – der Markt schon.“ Die Sicht der Distribution schildert Michael Haas von Videor E.

Hartig: „Der anhaltende Preisverfall ist kein neues Phänomen und seit mehr als 20 Jahren sehr präsent. Vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Zahl von Anbietern und dem fortwährenden Verdrängungswettbewerb eine logische Entwicklung. Mit über 40 Jahren Expertise in der Sicherheitstechnik verfügt Videor über weitreichende Kompetenzen, technisch ausgereifte Komplett-Lösungen anzubieten, hat jedoch anders als ein Errichter nur eingeschränkte Möglichkeiten, technische Dienstleistungen als Mehrwert zu vermarkten. Mit dem Wissen, dass unser Know-how gebraucht wird, bietet unsere Consulting-Abteilung unterstützende Dienstleistungen im Projekt an, welche von unseren Wiederverkäufern in Anspruch genommen werden können. Leistungen, die zunehmend nachgefragt werden, wenngleich aus unserer Sicht noch zu zögerlich.“ Gerhard Harand beschreibt den Ansatz seines Unternehmens: „Wir haben schon sehr früh begonnen, uns anders aufzustellen, da wir mit dem Druck von Seiten großer Distributoren aus dem IT-Bereich konfrontiert sind. Die Strategie war also, gezielt zu reduzieren: Wir haben jetzt weniger Produkte, diese werden aber inte grativ angeboten. Wir haben also circa 14 Hersteller, deren Produkte wird in der Distribution vertreiben, welche aber alle ineinander verkettet werden können. Sei es jetzt die Kameraseite, Videomanagement und -analyse bis hin zur Perimetersensorik. Wir verknüpfen das mit einem sehr tiefen technischen Know-how, sodass ein Errichter vor Ort auf der Baustelle keine Problem hat. Er bekommt die Gesamtlösung und kann sich sicher sein, dass das am Ende zusammen funktioniert. Mit diesem Ansatz können wir das Margen-Schrumpfen abschwächen, und es ist vor allem auch für die Errichter angenehmer, denn die müssen nicht fünfmal auf die Baustelle fahren, weil etwas nicht funktioniert. Das ist für alle eine Möglichkeit, sich besser zu positionieren.“

Fokussierung und Erweiterung

Waldmar Gollan kann einen Trend zur Fokussierung bei den Produkten bestätigen: „Wir sehen bei den meisten unserer Distributoren eine Konzentration auf weniger Hersteller von IP-Megapixel-Kameras. Einer dieser Distributionspartner hatte sechs verschiedene Kamerahersteller und hat sich, nach einer Analyse des Kosten-/ Nutzenaufwands, nunmehr auf zwei Kamerahersteller plus eine Videomanagementlösung fokussiert. Die Produktlinien ergänzen sich mit gewissen Überschneidungen und bieten komplette Lösungen mit optimierten Kombinationen an, die als Pakete in verschiedenen vertikalen Märkte platziert werden. Dieser lösungsorientierte Ansatz bedarf einer Analyse über die spezifischen Bedürfnisse der vertikalen Märkte, um dann den Kunden individualisierte, maßgeschneiderte Lösung anbieten zu können.

Denn der Endkunde beziehungsweise bereits der Systemintegrator merkt sehr schnell, ob es sich um ein allgemein gehaltenes Angebot oder ein mit fundierter Expertise erstelltes Lösungskonzept handelt.“ Michael Haas beschreibt einen weiteren Weg, um zukunftsfähig zu bleiben: „In erster Linie sind wir in der Distribution, sprich dem Hardware Vertrieb, aufgestellt, fahren aber mit unserem Solution-Zweig auch zweigleisig. Wir bieten unseren Kunden kompetente Beratung und passende Lösungen, konfigurieren und fertigen Systeme nach Kundenwunsch und helfen so, die Komplexität im Projekt sowie die Kosten bei der Installation zu reduzieren. Wir kommen aus der Videoüberwachung, und in Kenntnis der Schnittstellen bauen wir unser Knowhow und Portfolio zu angrenzenden Anwendungen, wie Zutrittskontrolle, Digital Signage et cetera, stetig aus. Wir beraten und unterstützen herstellerunabhängig und haben stets die beste Lösung für die jeweilige Anwendung des Kunden im Blick.“ Zur Qualität zählt also auch die Güte von Planung, Beratung und Kundenbetreuung. Hierzu wollen auch die Hersteller beitragen. Thorsten Wallerius erklärt: „Wir müssen beim Kunden sein, beim Errichter, beim Integrator. Deshalb nutzen wir Partnermodelle, wie viele andere auch, und setzen auf Trainings, auf Wissensvermittlung, Know-how-Transfer. Denn ohne dies hat man wenig Chancen im Markt. Nur wenn man die Technologie und die Produkte kennt, kann man die Kunden umfassend beraten.“ Für Rene Reinhard ist das ebenfalls eine Grundvoraussetzung: „Es ist ein enormer Schulungsbedarf vorhanden, den die weltweiten Hersteller erkennen und befriedigen müssen. Genau das ist auch der große Vorteil unseres DPP Partnerprogramms, wo wir, teilweise zusammen mit dem Distributor, regelmäßig und je nach Partnerstufe zu den Errichtern fahren und deren Techniker direkt vor Ort schulen. Das muss man heutzutage leisten, denn nur mit günstigen Preisen kann man keinem Errichter eine ausreichende Grundlage für den Erfolg bieten.“

Michael Gückel

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