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Öffentliche Sicherheit 16. März 2021

Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz - Szenario „Erdbeben“

Die aktuelle Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz befasst sich mit dem Szenario eines schweren Erdbebens in der Niederrheinischen Bucht.

Zerstörten Gebäuden und Infrastruktur in Folge eines schweren Erdbebens werden meist nicht mit Deutschland in Verbindung gebracht – eine Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz spielt dieses Szenario aber durch.
Zerstörten Gebäuden und Infrastruktur in Folge eines schweren Erdbebens werden meist nicht mit Deutschland in Verbindung gebracht – eine Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz spielt dieses Szenario aber durch.

Mit Hilfe der Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz können die Folgen möglicher Extremereignisse wie zum Beispiel Erdbeben  abgeschätzt und Handlungsfelder identifiziert werden. Ein erfolgreicher Bevölkerungsschutz und seine wirkungsvolle Weiterentwicklung kann nur gelingen, wenn der Staat und seine Akteure sich bereits im Vorfeld beispielsweise mit extremen Wetterereignissen wie Dürren, Stürmen, aber auch nicht naturbedingten Gefahren (zum Beispiel Chemieunfälle, langanhaltende Stromausfälle) und den damit verbundenen Risiken für die Bevölkerung befassen. In diesem Zusammenhang gilt es, folgende Fragen zu klären:

  • Mit welchen Gefahren/Ereignissen müssen wir in Deutschland rechnen?
  • Wie ist der deutsche Bevölkerungsschutz darauf vorbereitet?

Die Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz

Mit der Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz hat die Bundesregierung 2009 ein im § 18 des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes (ZSKG) gesetzlich verankertes Instrument in Deutschland geschaffen, mit dessen Hilfe wertvolle Erkenntnisse zur Beantwortung dieser zentralen Fragestellungen gewonnen werden können.

Erdbeben in Deutschland?

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Bilder von geschädigten und zerstörten Gebäuden und Infrastruktur wie Verkehrswege oder Versorgungsleitungen in Folge eines schweren Erdbebenereignisse werden in der Regel nicht mit Deutschland, sondern mit weit entfernten Regionen wie Japan und Neuseeland oder mit dem europäischen Mittelmeerraum, zum Beispiel Griechenland und Italien, in Verbindung gebracht. Doch auch in Deutschland gehören Erdbeben zum „geologischen Alltag“. Jedes Jahr werden in Deutschland mehrere hundert Erdbeben von Messstationen registriert. Die meisten dieser gemessenen Bebenereignisse sind für den Menschen nicht wahrnehmbar und verursachen keine sichtbaren Schäden. Dass es jedoch zu Erdbeben mit spürbaren und sichtbaren Folgen auch in Deutschland kommen kann, zeigte beispielsweise das Erdbeben von 1992 mit Epizentrum bei Roermond. Es war eines der stärksten Beben der jüngeren Vergangenheit.

Im Gegensatz zu anderen Gefahren wie Hochwasser/Sturzfluten und Stürmen fehlt es in Deutschland an kontinuierlicher Erfahrung im Umgang mit der Gefahr Erdbeben. Dies macht eine theoretische Vorbereitung auf Erdbebenereignisse umso wichtiger. Mit welchen Folgen bei einem extremen, aber für Deutschland denkbaren Erdbebenereignis zu rechnen ist, wurde im Rahmen der Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2019 untersucht. Das dieser Risikoanalyse zugrunde liegende Szenario beschreibt ein starkes Erdbeben (Magnitude Mw 6,5) in der Niederrheinischen Bucht, nahe der Großstadtregion Köln.

Im Vergleich zu anderen Erdbebengebieten in Deutschland weist die Niederrheinische Bucht eine für Deutschland verhältnismäßig hohe seismische Gefährdung auf, und es ist dort auch jährlich mit spürbaren Beben zu rechnen. Der „Erftsprung“ bildet hier eine der Hauptverwerfungen in der Niederrheinischen Bucht. In der Nähe des Erftsprungs liegt die Stadt Köln als eine der größten Städte beziehungsweise Regionen in Hinblick auf Bevölkerung, Siedlungsgebiet und Wirtschaftskraft. Daher besteht hier ein besonders hohes Risiko für den Verlust von Menschenleben beziehungsweise ihre Verletzung sowie für die Zerstörung von Funktionen der Infrastruktur und der Industrie sowie für den Verlust materieller Werte.

Die Risikoanalyse „Erdbeben“

Die Risikoanalyse „Erdbeben“ erfolgte 2019 unter fachlicher Federführung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ) und unter Mitwirkung unterschiedlicher Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden. Fachlich unterstützt wurde die Risikoanalyse durch Hochschulen und Universitäten sowie durch Unternehmen der Energie und Wasserwirtschaft.

Szenario

Das analysierte Szenario beschreibt ein Erdbeben mit einer Momentmagnitude von 6,5 Mw am Erftsprung in der Niederrheinischen Bucht, westlich von Köln. Die durch das Beben ausgelösten Erschütterungen sind in einem Umkreis von mehreren hundert Kilometern spürbar. Die Auswirkungen der Erderschütterungen sind dabei im „Epizentralgebiet“, in dem ungefähr 2,4 Millionen Menschen leben, am höchsten. Innerhalb dieses Gebietes ist die Stadt Köln mit ihrem südlichen und westlichen Umland (Rhein-Erft-Kreis, nördlicher Kreis Euskirchen und nordöstlicher Rhein-Sieg-Kreis) besonders betroffen. Dem Hauptbeben folgt eine Vielzahl, im Epizentralgebiet teils deutlich spürbarer Nachbeben.

Folgen eines Erdbebens

Die Analyse zeigt auf, welche Folgen das angenommene Erdbebenszenario auf die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen hat. Es muss unter anderem auf Grund der eingestürzten oder beschädigten Gebäude mit einer erheblichen Anzahl an Toten und Verletzten und in Folge dessen einer Überlastungen des Gesundheitssystems (hier vor allem die klinischen Versorgung) sowie mehreren Zehntausend hilfebedürftigen Personen gerechnet werden. Dies wird begleitet mit langanhaltenden Stromausfällen, Ausfällen bei der Wasserver- und -entsorgung und mit zeitweisen Einschränkungen bei allen Verkehrsträgern und in deren Folge mit Lieferengpässen bei verschiedensten Gütern. Die vollständige Wiederherstellung der zerstörten Gebäude und Infrastruktur wird erst nach mehreren Jahren abgeschlossen sein.

Im Zusammenhang mit den zusammenfassend umrissenen Auswirkungen werden auch die Gefahrenabwehr und der Katastrophenschutz vor besondere Herausforderungen gestellt: Eine besondere Herausforderung für die Einsatzkräfte stellt die Unsicherheit bezüglich der Einsturzgefährdung von Gebäuden oder Verkehrsinfrastruktur dar, da nach Vorgaben der Eigensicherung keine Gebäude oder weitere Bauten betreten werden dürfen, die einsturzgefährdet sind beziehungsweise sein könnten. Da die Begutachtung durch Fachpersonal (Baufachberater) oft nicht in der notwendigen Geschwindigkeit erfolgen kann und um schnelle Hilfe vor Ort leisten zu können, müssen vielfach individuelle, situationsabhängige „Vor-Ort-Entscheidungen“ in Abhängigkeit einer Gefahren-und Risikoeinschätzung durch die Einsatzleitung getroffen werden. Den Führungskräften sowie den Helfern selber obliegt demnach eine große eigene Verantwortung.

Zu den vordringlichsten Maßnahmen, die unmittelbar im Nachgang zum Ereignis getroffen werden zählen unter anderem:

  • Die Einrichtung von Krisenstäben auf allen Verwaltungsebenen,
  • die Bergung und Rettung von Verschütteten,
  • der Transport von verletzten Personen zur Versorgung außerhalb des Schadensgebietes,
  • Die Beurteilung der Standsicherheit von Gebäuden und der Verkehrsinfrastruktur,
  • das Einrichten von Sammelplätzen und Bereitstellungsräumen außerhalb des Schadensgebietes,
  • die Evakuierungen von Stadteilen und einzelnen Einrichtungen,
  • das Löschen von Bränden.

Die extrem erhöhten Einsatzzahlen sowie die Einsatzdauer steigern die körperliche Belastung der Einsatzkräfte, wodurch Personalausfälle wahrscheinlich sind.

Wie diesen und weiteren Herausforderungen, die in der Analyse beschrieben werden, begegnet werden kann, zeigen die zum Ende der Risikoanalyse benannten Maßnahmenoptionen für insgesamt vier Handlungsfelder: „Administratives und operatives Krisenmanagement“, „Kritische Infrastrukturen“, „Forschung“ und „Sonstige“. Diese sind als fachliche Empfehlungen der an der Risikoanalyse beteiligten Akteure zu verstehen. Sie liefern einen wertvollen Beitrag für die Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzsystems in Deutschland.

Der Kartenausschnitt zeigt das Gebiet, in dem die Auswirkungen des Bebens im Szenario am stärksten sind. Innerhalb des Epizentralgebiets (schwarze Ellipse) ist die Stadt Köln mit ihrem südlichen und westlichen Umland besonders betroffen. Der rote Stern markiert das Epizentrum, das heißt den Punkt an der Erdoberfläche, der direkt über dem Erdbebenherd, dem Hypozentrum liegt. Die rote Linie zeigt die Bruchfläche am Erftsprung, entlang der ein Versatz stattfindet.
Der Kartenausschnitt zeigt das Gebiet, in dem die Auswirkungen des Bebens im Szenario am stärksten sind. Innerhalb des Epizentralgebiets (schwarze Ellipse) ist die Stadt Köln mit ihrem südlichen und westlichen Umland besonders betroffen. Der rote Stern markiert das Epizentrum, das heißt den Punkt an der Erdoberfläche, der direkt über dem Erdbebenherd, dem Hypozentrum liegt. Die rote Linie zeigt die Bruchfläche am Erftsprung, entlang der ein Versatz stattfindet.
Der Kreislauf des Risiko- und Krisenmanagements.
Der Kreislauf des Risiko- und Krisenmanagements.

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