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Mitarbeiterkriminalität 10. November 2011

Schattenkonten und Geldkoffer

Wirtschaftskriminalität hat erhebliche Auswirkungen. Ihr Schaden für die deutsche Volkswirtschaft lag nach Angaben des Bundeskriminalamtes im vergangenen Jahr bei 4,6 Milliarden Euro. Die Dunkelziffer wirtschaftskrimineller Delikte wird auf 80 Prozent geschätzt.

Wirtschaftskriminalität verursachte im vergangenen Jahr einen Schaden von 4,6 Milliarden Euro.
Wirtschaftskriminalität verursachte im vergangenen Jahr einen Schaden von 4,6 Milliarden Euro.

Bisher ist wenig über das Profil und Verhalten der Täter bekannt. Ohne dieses Wissen ist es für Unternehmen aber schwierig, sich vor wirtschaftskriminellen Taten ihrer Mitarbeiter und Geschäftspartner zu schützen.

KPMG hat daher in einer international angelegten Studie untersucht, welche Muster und Entwicklungen sich im Bereich der Wirtschaftskriminalität herausarbeiten lassen. Berücksichtigt wurden für die Studie insgesamt 348 Sonderuntersuchungen, die zwischen Januar 2008 und Dezember 2010 in 69 Ländern durchgeführt wurden. Obwohl darunter auch Fälle mit großer Medienwirksamkeit sind, handelt es sich überwiegend um Untersuchungen, die in der Öffentlichkeit nicht bekannt wurden. Die Fallsammlung umfasst Fälle unterschiedlichster Deliktarten und Größe, sowie verschiedene Sektoren und Regionen. Mehr als 20 der untersuchten Fälle betrafen deutsche Unternehmen oder Unternehmen in Deutschland.

Täterprofil

Männlich, Mitte 30 bis Mitte 40, langjähriger Mitarbeiter und in einer Führungsposition - so sieht weltweit der typische Wirtschaftskriminelle aus. Bei 41 Prozent der untersuchten Fälle sind die Täter zwischen 36 und 45 Jahre, in 35 Prozent der Fälle zwischen 46 und 55 Jahren. Nur 14 Prozent sind unter 35 Jahren. Im Vergleich zur letzten KPMG-Untersuchung vor vier Jahren („Profile of a Fraudster“, 2007) stieg der Anteil der Mitte 30- bis Mitte 40-Jährigen von 39 auf 41 Prozent leicht an.

Personen, denen sensible Informationen anvertraut werden und die in der Lage sind, Kontrollmechanismen zu umgehen, haben eine statistisch höhere Wahrscheinlichkeit zu Tätern zu werden. Gemäß Studie sind hochrangige Mitarbeiter deutlich häufiger in wirtschaftskriminelle Delikte involviert als Nachwuchskräfte. 2007 waren 60 Prozent der Täter in gehobener Führungsposition und stellen auch 2011 mit 53 Prozent weiterhin die größte Tätergruppe.

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Gemäß Studie arbeiten die meisten Wirtschaftskriminellen im Finanzbereich: 36 Prozent in 2007 und 32 Prozent in 2011. Die Verantwortung für und der Zugang zu Vermögenswerten, finanzieller Berichterstattung und Kreditrahmen stellen nicht nur eine Versuchung dar, sondern bieten zudem die Gelegenheit, betrügerische Handlungen zu verschleiern. Der neben der Finanzabteilung am stärksten betroffene Unternehmensbereich ist mit 25 Prozent der Vertrieb (2007: 32 Prozent). Am wenigsten betroffen sind die Rechtabteilungen.

Die häufigsten Deliktarten sind Veruntreuung von Vermögenswerten oder Bestechung/Bestechlichkeit beim Einkauf von Waren und Dienstleistungen. Die Annahmen von Bestechungsgeldern für die Akzeptanz von überhöhten Projektkosten ist dabei gängige Methode, ebenso die Anlage von fiktiven Lieferantenkonten mit entsprechend fingierten Rechnungen. Der durchschnittliche Schaden der betrachteten Fälle liegt bei knapp einer Millionen Euro.

Lange Unternehmenszugehörigkeit schützt das Unternehmen nicht. Tatsächlich arbeitet der typische Betrüger bereits mehrere Jahre bei dem Unternehmen, bevor er aus unterschiedlichen Beweggründen beginnt, kriminelles Verhalten zu entwickeln. Zwei Drittel der Täter sind schon seit über fünf Jahren im Unternehmen, ein Drittel davon sogar schon seit über zehn Jahren.

Motiv und Gelegenheit

Oft führen Veränderungen der persönlichen Lebensumstände oder Frustration und Leistungsdruck dazu, einen Betrug zu begehen. Neben dem Streben nach persönlichem Gewinn spielt die Arbeitsbelastung eine wesentliche Rolle. Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, ihre Leistung entspricht nicht den Anforderungen, steigt ihre Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes und Auswirkungen auf ihre erfolgsabhängige Vergütung. Die Motivation, Leistungsdefizite oder Verluste zu kaschieren, wächst.

Eine der wesentlichsten Erkenntnisse der Analyse ist, dass die Täter in 74 Prozent aller Fälle Schwächen im internen Kontrollsystem ausnutzen. Dieser Wert hat gegenüber 2007 um 25 Prozent zugenommen. Dies kann bedeuten, dass die Täter trickreicher werden und die kriminelle Energie zunimmt – oder dass die internen Kontrollen zwar ausgefeilter werden, ihre Einhaltung aber unzureichend kontrolliert wird. Da die Täter überwiegend in Führungspositionen tätig sind, können sie die Kontrollen oftmals aushebeln.

Aufgedeckt wird knapp die Hälfte aller Fälle durch das interne Kontrollsystem. Ein weiteres Viertel durch Hinweisgeber, die “Whistleblower”. Acht Prozent der Fälle werden nach Beschwerden von Kunden oder Lieferanten und sechs Prozent in Folge von Anfragen Dritter (einschließlich Banken, Steuerbehörden, Regulatoren, Wettbewerber und Investoren) bekannt. 13 Prozent kommen nur durch Zufall ans Licht.

Kriminelle Handlungen zeichnen sich häufig im Vorfeld ab. Die Studie zeigt, dass weltweit in 56 Prozent der Fälle Warnsignale ignoriert wurden. Ein solches Warnsignal kann beispielsweise sein, dass ein Kollege einen ungewohnt luxuriösen Lebensstil führt und offensichtlich über seine Verhältnisse lebt oder sich weigert, in Urlaub zu gehen. Dahinter steckt oft die Angst, entdeckt zu werden. In nur sechs Prozent der von KPMG untersuchten Fälle wurden solche Warnsignale ernst genommen und konnten zur Verhinderung, oder schnellen Aufdeckung von unlauteren Handlungen beitragen. Das ist umso weniger nachvollziehbar, als fast alle Betrüger (96 Prozent) Mehrfachtäter sind.

Bemerkenswert ist, dass selbst wenn ein Fall aufgedeckt wird, meist keine Kommunikation erfolgt. 77 Prozent der Fälle haben die Öffentlichkeit nie erreicht. In mehr als der Hälfte der Fälle werden nicht einmal die Mitarbeiter informiert. Die Täter kommen oft glimpflich davon. Nur in 40 Prozent der Fälle weltweit gab es disziplinarische Maßnahmen, in weniger als einem Viertel der Fälle wurden Schadenersatzansprüche geltend gemacht. Nur sechs Prozent der Fälle erreichten die Gerichte.

Die mangelhafte Kommunikation und unzureichende Sanktionen bedeuten eine vertane Chance mit Blick auf Prävention. Denn das Management kann durch einen konsequenten und transparenten Umgang mit aufgedeckten Vorfällen eine klare Botschaft an potentielle Betrüger senden. Das schärft das Bewusstsein aller Mitarbeiter und erhöht in Folge deutlich die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden.

Dr. Frank Hülsberg, Head of Forensic der KPMG AG

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