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Sicher planen für den Ernstfall

Samstagabend, das Volksfest ist in vollem Gange. Doch am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Ein Gewitter naht. Die Entscheidung der Sicherheitskräfte: Das Bierzelt muss aufgrund der nahenden Sturmböen und möglichem Blitzschlag geräumt werden. Doch wie genau? Ein Beitrag von Dr. Angelika Kneidl, Gründerin des Start-up-Unternehmens accu:rate.

Mithilfe intelligenter Computerprogramme lassen sich Personenströme simulieren und Risiken minimieren.
Mithilfe intelligenter Computerprogramme lassen sich Personenströme simulieren und Risiken minimieren.

Situationen wie eben beschrieben, stellen ein Sicherheits-konzept auf die Probe: Funktioniert der Plan zu Räumung? Wie reagieren die Gäste? Ist das Sicherheits-personal geschult? Dauert die Räumung so lange, wie im Vorfeld abgeschätzt?

Vorab kann eine Räumung kaum getestet werden: Möchte man unter Realbedingungen üben, so müsste man ein vollbesetztes Zelt räumen. Doch die Kosten, die dadurch entstehen – ganz abgesehen von dem Unmut, der sich unter den Besuchern ausbreiten wird – machen eine Durchführung unrealistisch. Sicherlich kann auch durch Räumungsübungen der Ernstfall trainiert werden. An einer solchen Übung nehmen aber im Normalfall meist wesentlich weniger Personen teil, die zudem meist geschult sind. Und so kann eine Übung nur teilweise bei der Beantwortung der Fragen helfen.

Bleibt als Alternative, auf die Erfahrung von den Erstellern des Sicherheitskonzepts zu setzen oder auf statische Berechnungsformeln. Letztere können die Dynamik von Personenmengen nicht erfassen und wichtige Fragen nicht beantworten, etwa wann die ersten Personen die Ausgänge erreicht haben, wie stark sich die Personen gegenseitig beeinflussen und einander abbremsen, oder wo sich Engstellen auf dem Weg zu den Ausgängen befinden.

Wertvolles Hilfsmittel

Um das Sicherheitskonzept nicht erst im Ernstfall auf Plausibilität überprüfen zu müssen, können computergestützte Simulationen von Personenbewegungen als wertvolles Hilfsmittel herangezogen werden. Denn sie helfen immer dann, wenn die Realität schwer greifbar beziehungsweise ein Blick auf zukünftige Situationen nicht so einfach möglich ist. Mit Simulationen errechnet der Computer aufgrund von Regeln und Vorgaben, wie sich die Dynamik von Menschenmengen entwickeln kann. Gleichzeitig wird ein Szenario umfassend betrachtet und Wechselwirkungen werden automatisch in Betracht gezogen. Die Ergebnisse sind auch ohne tiefes Expertenwissen leicht verständlich: Ergebnisvideos veranschaulichen die Entwicklung eines Szenarios über die Zeit, Detailanalysen können bestimmte Bereiche näher betrachten, Entfluchtungsverläufe geben Aufschluss über die Anzahl der noch zu räumenden Personen.

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Eine Simulation ist schnell aufgesetzt: Benötigt wird ein zweidimensionaler Plan der Geometrie, zusammen mit den Eingabewerten zur Population. Aus dieser Geometrie sollten die Fluchtwege herauslesbar sein. Mit den Sicherheitsexperten werden dann weitere Eingangsgrößen erarbeitet: Gemeinsam wird festgelegt, wo sich die Menschen zu Beginn der Simulation befinden und wohin sie entfluchtet werden sollen. Die Demographie der Besucher spielt dabei ebenso eine Rolle. Handelt es sich beispielsweise um ein älteres Publikum oder um junge Leute? Sind eher Freundesgruppen vor Ort oder Familien? Diese Faktoren haben Einfluss auf die Gehgeschwindigkeit und auch auf das Verhalten der zu simulierenden Personen.

Sind Geometrie und „Population“ festgelegt, kann die Simulation gestartet werden. Das zugrundeliegende Modell kann man sich vereinfacht so vorstellen: Jede Person hat ein bestimmtes Ziel, auf das sie zustrebt. Auf dem Weg zum Ziel befinden sich aber Hindernisse unterschiedlichster Art sowie andere Personen, die sie zum Ausweichen zwingen. Man kann sich das so vorstellen, dass das Gebiet, auf dem sich die Personen bewegen, wie eine Hügellandschaft aussieht. Hindernisse wie zum Beispiel Zäune, Wände und Tische sind Hügel ebenso wie andere Personen. Jede Person versucht also, durch diese Hügellandschaft zu navigieren, und dabei möglichst entlang der Täler zu gehen. Damit weicht er Hindernissen und anderen Menschen aus und vermeidet Kollisionen. Dieses Vorgehen wird für jede Person angewandt. Die Personen beeinflussen sich gegenseitig im Modell. So kann die reale Dynamik sehr gut erfasst und wiedergegeben werden.

Die Simulationsmodelle werden laufend anhand von Realdaten validiert. Bestimmte Phänomene wie Bahnenbildung bei Gegenverkehr oder Staubildung vor Engstellen sind in der Realität gut beobachtbar. Diese Phänomene werden dann am Computer nachgebildet und überprüft. Wie bei physikalischen Simulationen werden diese beobachtbaren Phänomene an kleinen Testfällen nachsimuliert und validiert.

Restrisiko bleibt

Und wie sieht’s mit der Realitätsnähe aus? Zunächst muss klar sein, dass die Realität nicht Eins zu Eins wiedergegeben wird. Das kann auch gar nicht passieren, da es nicht die „eine“ Realität gibt. Betrachtet man die gleiche Veranstaltung in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, so wird es bestimmte wiederkehrende Charakteristika geben. Dennoch werden andere Menschen anwesend sein und damit andere Situationen entstehen. Die Simulationen zielen also genau darauf ab, die wiederkehrenden Charakteristika realgetreu zu erfassen und wiederzugeben. Damit können Tendenzen und Trends abgebildet werden, die bereits einen großen Mehrwert bei der Planung leisten. Das Stolpern eines Menschen hingegen und der Ort, wo er stolpert, wird nicht durch eine Simulation abgebildet. Dieses Restrisiko bleibt, da der Mensch nicht berechenbar ist und bleibt.

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