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Smart, sicher, sinnvoll?

Teil 2

Lars Diestel von Wotscom plädiert daher für die praktischen Sichtweise: „Für mich stellt sich nicht unbedingt die Frage, ob die Kamera nun immer intelligenter wird oder ob man die geballte Intelligenz auf der Serverseite hat. Die Frage ist, wie intelligent gehe ich mit den Videobildern um? Man muss vorher genau wissen, was man mit den Streams anfangen will. Wo die Analyse gemacht wird, ist dann nur eine Frage des Systemaufbaus.“

Michaela Höllering differenziert: „Aus unserer Sicht sind viele Nutzer, gerade von kleineren Anlagen, glücklich darüber, wenn einige Anwendungen schon auf der Kamera onboard durchgeführt werden können. In größeren Anwendungen sind die komplexen Anforderungen aber von den Kameras allein nicht zu erfüllen. Hier muss man auf die externen Serversysteme ausweichen. Genauso, wenn kameraübergreifende Analysen gemacht werden müssen. Es ist also generell eine Frage, welche Art von Anwendung und welche Anforderungen der Kunde hat.“

Jan Schwager, Leiter Produktstrategie, Geutebrück GmbH
Alexander Yeomans, Leiter Enterprise & Corporate Security Solutions & Services Portfolio, Siemens AG
Markus Groben, Geschäftsführer, Groben Ingenieure GmbH
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Dem stimmt Heiko Gutmann von Securiton zu: „Die Entscheidung pro oder kontra kamerabasierte Analyse hängt meiner Meinung nach von mehreren Faktoren ab: Für welchen Einsatzbereich wird die Analyse benötigt? Habe ich eine Einzelkamera oder ein großes System mit mehreren Tausend Kameras? Soll die Kamera eigenständig, nur ihren Bereich bearbeiten oder mehrere Kameras liegenschaftsübergreifend zusammenarbeiten? Die Auswahl der kamerabasierten Analysen ist heute noch zu beschränkt, um von der ausgereiften und optimalsten Methode zu sprechen. Ist eine drastische Reduzierung der Rechenleistung und Bandbreite erwünscht, bieten Analysedienste auf der Kamera natürlich Vorteile. Trotzdem gibt es auch bei der serverbasierten Analyse Möglichkeiten, dies über verschiedene Parameter zu optimieren.“

Mit dem Einsatzzweck ergibt sich die Architektur, findet auch Alexander Yeomans von Siemens: „Möchte ich eine reine Live-Videoüberwachung realisieren, um zu sehen, wenn jemand mein Gelände betritt, reicht eine einfache Kamera. Wenn es aber darum geht, Prozesse zu optimieren und noch weitere Daten einzubinden, brauche ich einen zentralen Server für die dazugehörende Kommunikation und die Schnittstellen.“

Architekturfragen

Neben der reinen Entweder-Oder-Frage nach zentralem oder dezentralem Ansatz stellt sich noch eine weitere, nämlich die nach der künftigen Basisarchitektur für smarte Kameras. Wird es ein App-Ökosystem wie bei Smartphones geben oder ist das eher unrealistisch?

Allzu viele Gemeinsamkeiten zwischen smarten Handys und Sicherheitskameras sieht Michaela Höllering in der anspruchsvollen Anwendung nicht: „Denken wir doch einmal an die Nutzung von modernen Handys: Wir benutzen diese zwar als Navigationssystem, als persönlichen Assistenten oder als Pulsmesser, aber niemand kommt auf die Idee, damit eine Powerpoint-Präsentation zu erstellen. Grundlegend anders ist es in der Videoüberwachung auch nicht, jedes Produkt hat sein angemessenes Anwendungsgebiet. Es gibt sicher viele Anwendungen, in denen intelligente Onboard-Funktionen oder auf die Kamera portierte Analyse-Apps gut funktionieren, aber wenn die Anforderungen steigen, muss man vermutlich doch auf ein Server-basiertes System zurückgreifen. Apps und Intelligenz in den Kameras sind sicher kein Allheilmittel.“

Und noch weitere Unterschiede verhindern eine direkte Vergleichbarkeit, so Andreas Conrad von Seetec: „Wir müssen auch den kommerziellen Aspekt der Apps betrachten. Denn was uns in der Videoindustrie vom Markt der Smartphones und Tablets unterscheidet, ist die Tatsache, dass dort Quasi-Standards vorherrschen. Zwei große Anbieter dominieren den Markt und geben die technologische Basis vor. Drittanbieter wiederum können sehr leicht Applikationen für diese Plattformen entwickeln. Eine solche Standardisierung haben wir, abgesehen von einzelnen Versuchen, in unserem Markt nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass es für kleinere Anbieter von Analysen aktuell noch eine große Herausforderung ist, ihre Apps für all die verschiedenen Kameraplattformen anzubieten.“

Dem stimmt Jan Schwager zu: „Ich sehe es ähnlich, ein richtiges Ökosystem an Apps haben wir für den Videobereich momentan nicht. Man muss – anders als in dem Bereich der Smartphones – über die entsprechenden Schnittstellen immer zahlreiche Anpassungen machen.“

Und Christian Ringler ergänzt: „Solange wir kein einheitliches Betriebssystem auf den Kameras haben, brauchen wir auch nicht über einen sogenannten App-Store nachdenken. Und solange sind Apps auch immer herstellerbezogen und müssen für jede weitere Kamera angepasst werden. Wobei sich mir die Frage stellt, wie so etwas beim aktuellen Preisdruck im Hardware-Bereich noch funktionieren soll.“

Die Videobranche unternehme aber dennoch Schritte in diese Richtung, wie Albert Unterberger anmerkt: „Im professionellen Einsatz sehe ich die individuellen Apps schon kommen. Vor allem zeigt sich, dass die nötigen Plattformen dazu entstehen. Bald wird man professionelle Apps für bestimmte Bereiche auch zentralisiert kaufen können.“

Nutzen und Mehrwert

So nützlich ein zentraler App-Store mit einem umfangreichen und zu allen Modellen kompatiblen Angebot für den Anwender auch sein mag, er wird in dieser Form voraussichtlich in den nächsten Jahren nicht zu realisieren sein. Was aber heute schon realisierbar und den Anwendern zu vermitteln ist, ist der Mehrwert, den eine gewisse Intelligenz in den Kameras bieten kann. Auch abseits der reinen Sicherheitsanwendung können die Kunden aus ihren Kameras immer öfter einen konkreten Nutzen ziehen.

Andreas Fieberg von Moog Pieper spannt den Bogen weiter: „Denken wir einmal nicht nur an den reinen Video-Kunden, sondern an das weite Feld der Industrieanlagen, wo man Prozesse beobachten und darauf reagieren muss. Hier ist es natürlich ein Segen, dass die Kameras immer intelligenter werden und auf ihnen individuelle Applikationen laufen können. So kann man auch Prozessdaten mit Videodaten verknüpfen und den Kunden maßgeschneiderte Lösungen direkt auf der Kamera bieten. Ich denke, dieser Ansatz wird sich auch in der klassischen Videoüberwachung mehr und mehr durchsetzen, so dass die Analyse irgendwann nicht mehr zwangsläufig auf einem Server läuft.“

Andreas Conrad pflichtet bei: „Wir gehen heute bereits deutlich über die Grenzen der klassischen Sicherheitswelt hinaus. Und hierbei ist die Herausforderung, den Nutzen und die Perspektiven für den Kunden klar herauszuarbeiten. Wir sind beispielsweise oft im Logistiksektor tätig, wo es darum geht, zwei Datentypen zusammenzubringen, einerseits die Videodaten, die recht sperrig sind und die sich nur mit großem Aufwand durchsuchen lassen, und andererseits die Prozessdaten, die für die Abwicklung unentbehrlich sind. Wenn man diese beiden Dinge optimal verbindet, generiert man einen Mehrwert für den Anwender.“

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