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Wohnungseinbruch 29. Juli 2014

Soziale Probleme als Ursache

Vor Kurzem hat das Bundesministerium des Innern die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2013 vorgestellt. Über die Einschätzung des Wohnungseinbruchdiebstahls sprach PROTECTOR mit Professor Dr. Thomas Feltes vom Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik, Polizeiwissenschaft an der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

144.000 Einbrüche wurden im vergangenen Jahr polizeilich erfasst.
144.000 Einbrüche wurden im vergangenen Jahr polizeilich erfasst.

PROTECTOR: Der Bundesinnenminister hat erklärt, dass Deutschland ein Land ist, in dem man sicher und ruhig leben kann. Schließen Sie sich dieser Einschätzung an?

Professor Dr. Thomas Feltes: Dem kann man im Prinzip zustimmen. Allerdings gibt es regional durchaus Unterschiede, was die Kriminalitätsbelastung anbetrifft. Vor allem in städtischen Ballungsgebieten und in „sozial benachteiligten“ Wohngebieten ist die Belastung deutlich höher als beispielsweise im ländlichen Bereich.

Allerdings betrifft diese Feststellung nur die polizeilich registrierte Kriminalität. Die Kriminalitätsfurcht, also das subjektive Empfinden, sicher zu leben, kann durchaus anders ausfallen, wie wir aus Studien wissen. Oftmals fühlen sich Menschen in Gebieten mit hoher registrierter Kriminalität sicherer als solche, die in wenig belasteten Gebieten leben. Und ganz wichtig: Die Polizeidaten sagen überhaupt nichts aus zur tatsächlichen Belastung.

Gehen Sie denn insgesamt von einem hohen Dunkelfeld aus?

Ja, das ist die Einschätzung von Experten. Mit Dunkelfeld meint man die nicht bekanntgewordenen, nicht gemeldeten oder von der Polizei nicht registrierten Taten. Man schätzt diese im Schnitt zwei- bis dreimal so groß wie die registrierte Kriminalität.

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Gibt es Zahlen in der PKS, die Sie besonders überrascht haben?

Es sind weniger die Zahlen, die mich überrascht haben, als die Art und Weise, wie diese Zahlen immer wieder von den Politikern präsentiert werden. Obwohl sie um die Fehler und Unzulänglichkeiten der Statistik wissen oder wissen müssten, tun sie so, als wenn diese Zahlen Wirklichkeit darstellen. Genau dies tun sie aber nicht.

Dann schauen wir uns den Wohnungseinbruchdiebstahl einmal genauer an. Wie ist hier Ihre Einschätzung?

Man muss davon ausgehen, dass das Dunkelfeld die Gesamtzahl der polizeilich registrierten Einbrüche mindestens verdoppelt. Für Deutschland gehe ich also beim Einbruchdiebstahl eher von 360.000 begangenen Taten einschließlich Dunkelfeld aus. Dem gegenüber stehen die 144.000 polizeilich registrierten Straftaten. Wir haben 22.600 ermittelte Tatverdächtige und liegen bei einer Aufklärungsquote von 15,7 Prozent.

Bei einem insgesamten Rückgang der Deliktzahlen in der PKS gibt es hier einen deutlichen Anstieg. Worauf führen Sie das zurück?

Bis etwa 2005 gingen die Fallzahlen beim Einbruch zurück – seither gibt es durchaus eine Renaissance, was auch deshalb beachtenswert ist, da die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten insgesamt rückläufig ist. Allerdings sind die Zahlen zum Beispiel in den 1990er Jahren deutlich höher gewesen.

Ursachen können Unterschiede bei der Datenerfassung sein, aber auch eine tatsächliche Zunahme dieser Delikte, zum Beispiel weil Drogenabhängige verstärkt den Einbruchdiebstahl als einzig verbliebene Möglichkeit sehen, sich Geld für ihre Drogensucht zu beschaffen.

Warum gibt es innerhalb der Bundesländern so divergierende Werte? In Bremen ein Rückgang um 14 Prozent, in Baden-Württemberg ein Anstieg von über 31 Prozent?

Den Rückgang in Bremen kann man erklären. Dort gab es ein Projekt, in dem man versucht hat, die sozialen Hintergründe der Einbruchsdiebstähle sowie die regionale Verteilung genauer zu untersuchen und die Arbeit der Polizei entsprechend zu restrukturieren. Das war offensichtlich erfolgreich.

Insgesamt ist es aber schwierig, solche Veränderungen zu erklären, da die Schwankungen zum Beispiel mit Tatserien, die in einem Jahr erfasst werden, zusammenhängen können, aber auch mit Änderungen in der Erfassung bei der Polizei. Das BKA schreibt dazu: „Folgende mögliche Einflussfaktoren können sich auf die Entwicklung der Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik auswirken: Anzeigeverhalten (zum Beispiel unter Versicherungsaspekten), polizeiliche Kontrolle, statistische Erfassung, … echte Kriminalitätsänderung“. Die Polizeiliche Kriminalstatistik biete, so das BKA, kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität.

Warum ist die Aufklärungsquote durchschnittlich so gering?

Der Einbruchdiebstahl ist schwer aufklärbar, da es fast nie Zeugen für diese Taten gibt und, was wir aus eigenen Studien wissen, Tatortspuren wie Fingerabdrücke und sogar DNA-Spuren fast nichts zur Aufklärung beitragen, da die Täter sich entsprechend vorsehen.

Generell werden die meisten Taten durch Hinweise von Zeugen oder Opfern aufgeklärt. Beim Einbruch ist dies aber nur selten möglich. Zudem sagt die Aufklärungsquote nichts über die Qualität polizeilicher Arbeit aus. Delikts- und Sozialstruktur sind wesentliche Merkmale, welche die Aufklärungsquote beeinflussen. Übrigens bringt auch ein „Mehr“ an Polizeibeamten kein „Mehr“ an Tataufklärung, wie internationale Studien belegen.

Handelt es sich bei den Tätern denn um organisierte Banden oder sind es eher Gelegenheitstäter? Sie nannten schon die Beschaffungskriminalität.

Vieles, was hier geschieht, ist medienwirksame Symbolpolitik. Natürlich gibt es diese Banden, aber nicht in dem Umfang, wie die Politik es glauben machen will. Woher will man wissen, wer die Einbrecher sind, wenn man nur einen Bruchteil der Taten aufklärt? In Stuttgart ist dies beispielsweise nur jede 16. Tat, in Köln jede zwölfte.

Zudem werden Taten oftmals als aufgeklärt definiert, auch wenn dies nicht zutrifft. Erst kürzlich wurden solche Manipulationsversuche in einem ostdeutschen Bundesland bekannt. Der typische Einbrecher ist jung, männlich und drogenabhängig, und oft schlagen Einbrecher im eigenen sozialen Umfeld zu.

Welche Instrumente sehen Sie dann im Kampf gegen diese Kriminalität überhaupt als wirkungsvoll an? Gibt es etwa bundesweite Ermittlungsgruppen?

Sicherlich kann ein bundesweiter Datenaustausch hilfreich sein, um zum Beispiel Einbruchserien zu erkennen. Dieser Datenaustausch wird aber bereits zumindest ansatzweise praktiziert. Wichtiger aber sind regionale Ansätze vor Ort. Es gibt nachweislich enge Beziehungen zwischen Kriminalitätsbelastung und sozialen Problemen.

Eine Stärkung der informellen Kontrolle kann mehr zur Reduzierung der Kriminalität beitragen als die formelle polizeiliche, strafrechtliche Kontrolle. Dort, wo sich Menschen kennen, einander vertrauen und gemeinsame Werte teilen, haben wir ein niedrigeres Kriminalitätsaufkommen, und solche Räume sind zugleich mit weniger Unsicherheitsgefühlen verbunden.

Welche Rolle spielt in Präventionskonzepten die Sicherheitstechnik?

Für diejenigen, die sich Sicherheitstechnik leisten können, spielt sie eine wichtige Rolle. Sichere Fenster und Türen können Einbrüche verhindern. Allerdings geschehen die meisten Einbrüche nicht in Villen- oder Einfamilienhaus-Gebieten, sondern dort, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Dort aber gehören die Mietshäuser oftmals Investoren, denen der Gewinn wichtiger ist als die Sicherheit ihrer Mieter.

Hier sind die Städte gefordert, entsprechende Richtlinien und Bauvorschriften zu erlassen beziehungsweise umzusetzen.

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