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Öffentliche Sicherheit 1. März 2023

Virtual Reality: Interaktives Sicherheitstraining

Der Einsatz von Virtual und Extended Reality bietet die Möglichkeit, Einsatz- und Rettungskräfte in einem interaktiven Sicherheitstraining zu schulen.

In einem interaktiven Sicherheitstraining auf Basis von Virtual Reality werden Polizisten aus Niedersachsen und Berlin ausgebildet.
In einem interaktiven Sicherheitstraining auf Basis von Virtual Reality werden Polizisten aus Niedersachsen und Berlin ausgebildet.

Viele Einsatzsituationen sind aufgrund von Kosten, Gefährdung oder Sicherheitsbestimmungen unmöglich im realen Leben zu trainieren; ein Sicherheitstraining auf Basis von Virtual und Extended Reality gibt Einsatz- und Rettungskräfte die Möglichkeit, gefährliche Situationen interaktiv zu üben. Entwickelt von der Ramrod XR. Ein Besuch von PROTECTOR auf der Elbinsel Hamburg-Wilhelmsburg.

Eine unscheinbare nüchterne Gewerbehalle erwartet mich, drinnen große Übungsflächen mit halbhohen Aufbauten und vielen farbigen Markierungen auf dem Fußboden und den Wänden. Empfangen werde ich von Paul Kaden, einem Absolventen des Studiengangs Sicherheitsmanagement (SiMa) an der NBS Hamburg. Ich kenne ihn noch aus der Mitarbeit im Fachbeirat SiMa. Sein letzter prominenter Gast im Unternehmen war die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht. Zu den auffälligen Markierungen befragt, erklärte Kaden, dass dies Positionsbestimmungen für die VR-Brillen seien.

Die Geschäftsidee für ein interaktives Sicherheitstraining

Nach dem Studium hat Kaden seine Firma Ramrod XR gegründet. Das Start-UpUnternehmen vertreibt, entwickelt, berät und forscht im Bereich Extended Reality (XR) und Virtual Reality (VR). Zu seiner Geschäftsidee sagt er: „Ramrod XR ist ein ‚DeepTech-Unternehmen‘, welches synthetische Erfahrung zum agilen Kompetenzerwerb für Behörden und Unternehmen entwickelt. Wir sind führend im Themengebiet Virtual und Extended Reality. Mit unseren Partnern sind wir weltweit hervorragend aufgestellt, um Einsatz- und Rettungskräfte aller Art zu unterstützen. Auch Unternehmen und Behörden können durch unsere Technologie profitieren, indem wir das darstellen können, was unmöglich, zu teuer oder zu gefährlich ist. Es ist mir dabei ein persönliches Anliegen, da ich selbst in der Vergangenheit mit meinen Soldaten nie so üben konnte, wie es die Realität erforderte.“

Warum das so kam, erklärt Kaden so: „Ich habe in der Vergangenheit in der Bundeswehr bei verschiedenen Einheiten gedient und war auch dreimal im Afghanistankampfeinsatz. Als Ausbilder stellte ich fest, dass es problematisch ist, so auszubilden, wie der Realeinsatz es erfordert. Einfach vor dem Hintergrund, dass wir gewisse Beschränkungen haben im Rahmen vom Budget, Logistik, Sicherheitsbeschränkungen beziehungsweise Sicherheitsbestimmungen beachten mussten. Manches war damals einfach nicht möglich. Und das hat mich so sehr frustriert, weil es Menschenleben kostete. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Einsatz ist ein 20-Tonnen schwerer Transportpanzer bei einem Feuergefecht von einer Böschung abgerutscht und in einen Fluss gefallen. Ein solches Szenario darzustellen, ist im Ausbildungsbetrieb nicht möglich. Darum wird es ‚trocken‘ geübt. Ich habe mich gefragt, wie man Einsatzkräfte auf solche und ähnliche Ereignisse stresssicher und ressourcenschonend ausbilden kann. Die einzige Antwort, die ich nach einer Evaluierung der Technik hatte, war eben eine virtuelles Schulungsszenario mit unbegrenzten Wiederholungen. Ein XR-Training ergänzt bestehende Ausbildungsmethoden und liefert meist schneller bessere Schulungsergebnisse, reduziert mögliche Unfälle und spart gleichzeitig Kosten.“ Im März 2022 hat Ramrod übrigens den Innovationspreis der Polizei von Dubai auf dem World Police Summit gewonnen.

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Inhalte des Trainings

Ein VR-Training für Sicherheitsaufgaben kann passiv oder (halb) interaktiv sein. In einer passiven Variante wird dem Teilnehmer zum Beispiel eine Videotour durch ein Gebäude gezeigt, und er zeichnet Informationen auf. In einer semi-interaktiven Form sieht er sich beispielsweise ein 360-Grad-Übersichtsvideo für Sicherheit im Unternehmen an und beantwortet gestellte Fragen. Die Antworten können den Kurs und das Ergebnis beeinflussen. Mit einer aktiven Variante beantwortet er Fragen, trifft Entscheidungen oder führt Aktionen aus, auch bei einer virtuellen Deeskalationsübung. 

Testlauf des Autors mit Virtual Reality

Zu einer Reportage gehört auch das Ausprobieren. Also Helm mit integrierter VR Brille aufsetzen und los. Übungsziel ist die Durchsuchung einer virtuellen Wohnung. Ich gehe mit der mir noch bekannten taktischen Vorgehensweise aus dem Polizeidienst in eine vermüllte „Messie-Wohnung“ rein. Die erinnert mich an die damalige Wohnung des Frauenmörders Honka. Alles realistisch dargestellt: die Raumaufteilung und der Dreck sowie die Müllsäcke. Richtig gruselig. Ein ganz neues Trainingsempfinden stellt sich bei mir ein.

Trägt jeder Teilnehmer bei den Schulungen und den Übungsszenarien eine VR-Brille?

Kaden: „Es gibt ja unterschiedliche Arten von Technologie in diesem erweiterten Realitätsbereich, das heißt, wir mixen Realität in die erweiterte Realität der VR rein. Durch Tracking sieht der Teilnehmer nicht seine eigenen Hände, sondern ein virtuelles Modell. Das in das Headset integrierte Tracking erfasst die real ausgeführten Bewegungen des Users und überträgt diese in Echtzeit auf das visuelle Modell. Neben Extended Reality gibt es noch Augmented und Mixed Reality. Im Bereich der Augmented Reality sieht der User die Umgebung mit eigenen Augen, die hierbei getragene Brille projiziert Ziele oder Bilder zusätzlich in das Sichtfeld ein. Um Mixed Reality nutzen zu können, wird wiederum ein Headset, das mit Farbkameras ausgestattet ist, getragen. Dieses filmt die Umgebung ab, und der User sieht den Videostream. In diesen können verschiedene Ziele oder Situationen eingeblendet werden. Je nach Programm braucht man verschiedene Brillen, wie XR-, AR- oder MR-Brillen.“

Der hohe Grad der Immersion sorgt für ein extremes Eintauchen in das ausgewählte Szenario. Der gezielte Einsatz von Chaos in Verbindung mit maximal realistischer Darstellung sorgt für Kompetenzerwerb, der auch außerhalb der Virtual Reality zum Tragen kommt. Gleichzeitig erleichtert die Nutzung von Software die Auswertung und Analyse eines jeden einzelnen Users massiv. Während sich ein Ausbilder im Detail nur auf einen Auszubildenden fokussieren kann, überwacht die Software jeden User gleichermaßen. Studien belegen, dass Trainingsteilnehmer mit Virtual Reality bis zu vier Mal schneller lernen und verstehen.

Sicherheitsmanager schulen

Welche Schulungsmodule mit VR sind für die Sicherheitsbranche darstellbar und realistisch?

Kaden: „Mit VR können wir eine große Palette an Schulungsmodulen für Führungskräfte sowie auch für die operative Ebene entwerfen und auch veranstalten. Führungskräfte haben zum Beispiel maßgebliche Verantwortung im Bereich von Veranstaltungen, Reisesicherheit und im Personenschutzbereich. Alles, was für derartige Szenarien relevant ist, kann dargestellt werden. Ein kleines Beispiel: Sie stellen ein virtuelles Fußballstadion dar. Die Lageentwicklung bringt eine ernstzunehmende Bombendrohung mit sich - im Stadion wurde eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung deponiert. Das ist für jeden Sicherheitsmanager oder Einsatzleiter eine Herausforderung. Er kann seine Einsatzkonzepte und Prozesse nach einer virtuellen Durchführung optimieren und verbessern. Denn ein virtueller Übungsablauf stellt eine dynamische Lage dar mit der Möglichkeit zu improvisieren. Unsere Angebotspalette orientiert sich an den Bedarfen und Wünschen der Auftraggeber sowie dem heutigen Standard in der Ausbildung.

Auf der operativen Arbeitsebene kann man alle möglichen reaktiven und aktiven Handlungsabläufe darstellen wie Beobachtungen melden, Darstellung eines Einbruchstatortes, Alarmfahrt mit Sonderrechten oder Abwehren von Angriffen. Wir können auch Situationen mit Schusswechseln und den Einsatzabläufen bei Personenschützern oder Geld- und Werttransporten gefahrlos darstellen. Auch Täterverhalten, wie Tarnung mit Arbeitsbekleidung und Gegenständen, ist darstellbar. Das dient zur professionellen Einschätzung für die Teilnehmer.“

Die Auswertung eines VR Trainings umfasst zusätzlich das „Biofeedback“. Hier werden verschiedene Parameter der Auszubildenden gemessen, zu Beispiel: Herz- und Atemfrequenz, Augenbewegung und Hautleitfähigkeit. Mit dieser Auswertung lässt sich der generierte Stress und die damit einhergehende Stress Resilienz festhalten. Zusätzlich bildet die gezielte Auswertung von abgesetzten Funksprüchen ein wichtiges Tool im Rahmen der Führerausbildung ab und kann hier gesondert gewertet werden. Das Komprimieren von Informationen in absoluter Ausnahmesituation ist außerhalb der VR nur schwer aufzuzeichnen und zu analysieren. Selbst die Ausbildung mit einem Reizstoffsprühgerät und dem Schlagstock Tonfa werden trainiert.

Haben Sie eine eigene Abteilung die Softwareprogramme schreibt und programmiert?

Kaden: „Ja, das ist unterschiedlich, wir sind ja ein agiles Unternehmen und sammeln immer noch Experten dazu, die für Auftragsabarbeitung zuständig sind. Es sind zwischen fünf und zehn Mitarbeitern, die festangestellt oder Freelancer sind. Das aktuelle Thema ‚Eyetracking‘ bearbeiten wir mit einer Neuausrichtung des persönlichen Sichtverhaltens. Das Spannende an der Übung mit der VR-Brille ist zum Beispiel ein Raum von 50 mal 50 Meter, wo sie jedoch unendlich weit laufen können. Dafür brauchen wir mathematisch begabte Experten, die wir projektmäßig einsetzen. Die Programmierung der virtuellen Umgebung, Gebäude, Stadtteile sind hochkomplexe Konstrukte. Wir müssen uns in der grafischen Darstellung dem ständigen Wandel durch Fortschritt stellen.“

Im Einsatz-, Ernstfall und Unfall funktioniert nur dass Kiss-Prinzip: Keep It Simple and Stupid. Nur das, was geübt wurde und beherrscht wird, lässt Menschen unter Stress nicht im Stich. Gleichzeitig ist es eine einheitliche Struktur aus zwei Teilen, stets Neues zu erkennen und danach zu handeln, aber Altbewährtes nicht zu vergessen.

Wenn Sie Ihre Tätigkeit mit einem Leitsatz beschreiben, wie lautet der?

Kaden: „if it's stupid, but it works, it’s not stupid! Übersetzt heißt das: „Wenn es dumm ist, aber es funktioniert, dann ist es nicht dumm! Einer unserer einprägsamen Aussprüche lautet: „Wenn man mit einfachen Mitteln etwas baut, was hoch komplex ist, dann hat es einen Mehrwert.“ Dies hat auch eine Justizbehörde erkannt und uns einen Auftrag erteilt. Darüber freuen wir uns sehr. Als Start-Up-Unternehmen sind wir generell noch auf schnelle Kapitalgeber angewiesen. Ich blicke aber optimistisch und kreativ in die Zukunft.“

Als Start-Up sieht Ramrod XR sich in der Pflicht, die entwickelte Technologie schnellstmöglich allen Einsatzkräften zugänglich zu machen. Wie bereits oben beschrieben, ist Kaden dies ein persönliches Anliegen. Im Rahmen eines Youtube Channels soll durch gezielte Kommunikation der Unternehmensvision und der entwickelten Technologie die Awareness auf der Entscheiderebene generiert werden. In verschiedenen Videos erklärt Kaden die Probleme, die Lösungen und die verschiedenen Systeme.

Mit neuen Eindrücken von einem interessanten Besuch verabschiede ich mich von der Mannschaft von Ramrod XR.

Klaus Kapinos für PROTECTOR

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