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Wachsende Akzeptanz

Terroranschläge wie jüngst das Bombenattentat auf den Boston Marathon erschüttern das Sicherheitsgefühl in breiten Kreisen der Bevölkerung. PROTECTOR hat dazu Prof. Dr. Wolfgang Bonß vom Forschungszentrum Risk befragt.

Die Einsicht in der Bevölkerung wächst, dass Sicherheit nicht zulasten der Freiheit gehen muss.
Die Einsicht in der Bevölkerung wächst, dass Sicherheit nicht zulasten der Freiheit gehen muss.

Prof. Dr. Wolfgang Bonß ist seit 1995 Professor für allgemeine Soziologie an der Universität der Bundeswehr, München. Er ist Mitglied im Beirat des „Forschungsforums öffentliche Sicherheit“ und Sprecher des Forschungszentrums „Risk" an der Universität der Bundeswehr München. Dieses hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Zusammenhänge im Spannungsfeld Sicherheit, politische Vorgaben, gesellschaftliche Akzeptanz und Finanzierung zu erforschen.

PROTECTOR: Erläutern Sie uns bitte die Begriffe, für die „Risk" steht?

Prof. Dr. Wolfang Bonß: Die vier Buchstaben verweisen auf vier Forschungsfelder: Das „R“ steht für Risiko oder genauer: für Risiko und Entscheidung. Hier geht es darum zu klären, wie Entscheidungen unter Ungewissheit zustande kommen. Der Buchstabe „I“ steht für Infrastruktur und macht deutlich, dass wir uns nicht mit allen möglichen Unsicherheiten beschäftigen, sondern den Blick vor allem auf die in letzter Zeit verstärkt diskutierten Risiken der Infrastruktur richten. Das „S“ steht nicht nur für Sicherheit, sondern stärker noch für das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit. Denn mehr Sicherheitsmaßnahmen führen letztlich immer zu einer Einschränkung individueller Freiheit. Das „K“ schließlich steht für Konflikt und Regulierung. Hier geht es vor allem um Forschungen zur Bewältigung von (Un-)sicherheitsproblemen im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit: Wie werden Sicherheitsprobleme bearbeitet, wo liegen typische Konfliktlinien und wie lassen sich diese entschärfen und bewältigen?

Sie widmen sich mit Ihrem Forschungsgebiet ja überwiegend „weichen“ Faktoren: Wie lässt sich das Gefühl für Sicherheit denn überhaupt messen?

Das Forschungszentrum Risk insgesamt widmet sich keineswegs nur „weichen“ Faktoren. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs einer Brücke oder eines Gebäudes beispielsweise lässt sich ziemlich „hart“ und eindeutig bestimmen, und hier spielt die Risikowahrnehmung allenfalls insofern eine Rolle, als zwischen den objektiven Gefährdungen und ihrer subjektiven Wahrnehmung eine Diskrepanz bestehen kann.

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Aber was die sozialwissenschaftliche Seite betrifft, da haben Sie recht. Wir beschäftigen uns in der Tat vornehmlich mit der sozialen Konstruktion und Wahrnehmung von (Un-)sicherheit. Denn die ist keineswegs einheitlich, sondern hängt von soziokulturellen Faktoren und den jeweiligen „Sicherheitskulturen“ ab. Genau besehen sind „Sicherheitsgefühle“ eine höchst ambivalente Angelegenheit. Sie beziehen sich zwar auf subjektive Wahrnehmungen, die man gleichwohl messen kann.

Die dabei gewonnen Aussagen müssen stets in einen dreifachen Kontext gestellt werden: Zum einen muss das (Un-)sicherheitsgefühl bereichsspezifisch differenziert werden. Welches sind die wirklich wichtigen Ängste, und was wird für problemlos und sicher gehalten? Zum zweiten müssen diese Feststellungen mit objektiven Risikobefunden verglichen werden. Zum dritten schließlich müssen eventuelle Diskrepanzen zwischen objektiver und subjektiver Wahrscheinlichkeit zu erklären versucht werden: Wer nimmt was wie wahr, und gibt es sozialstrukturelle Bedingungen?

Gibt es hier bereits erste Aussagen? Wer fühlt sich sicher, wer nicht?

Hier haben die dem Forschungszentrum Risk zuzuordnenden Projekte bislang keine bahnbrechenden Ergebnisse geliefert. Das liegt aber weniger an den Projekten, sondern an der Tatsache, dass es eine nicht geringe Tradition psychologischer, soziologischer und politikwissenschaftlicher Sicherheitsforschung auch im deutschen Sprachraum gibt. Betrachtet man zunächst die Frage: „Wovor fürchten sich die Deutschen?“, so kann man auf regelmäßige Umfragen zurückgreifen. Diese machen deutlich, dass massenmedial gehypte Gefahren wie zum Beispiel die Terrorangst letztlich eine vergleichsweise geringe Rolle spielen.

Konkrete Untersuchungen zur Frage: „Wer fühlt sich sicher?“ sind demgegenüber weit seltener. Hier wiederum sind vor allem die Untersuchungen zur „Kriminalitätsfurcht“ aufschlussreich, die zweierlei gezeigt haben: Auf der einen Seite besteht eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen der subjektiven Wahrnehmung und der objektiven, das heißt statistisch feststellbaren Bedrohung. Zum anderen gibt es klare sozialstrukturelle Differenzierungen: Im Alter nimmt die Kriminalitätsfurcht grundsätzlich zu; zusätzliche Korrelationen lassen sich mit den Faktoren Bildung, Einkommen und Wohnlage feststellen.

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Da sprechen Sie einen wichtigen Faktor an: Die Medien spielen ohne Frage eine erhebliche Rolle. Denn die Risiko- und Sicherheitskommunikation läuft wesentlich über die Medien, und das betrifft sowohl das, was zum Thema wird, als auch die Frage, wie es wahrgenommen wird. Hier ist die einschlägige Berichterstattung in der Regel anlassorientiert und oftmals selektiv. So wird über Tötungsdelikte von Ausländern relativ mehr berichtet als über Tötungsdelikte von Inländern. Desgleichen werden Überfälle auf Kinder oder Alte ebenfalls relativ „überthematisiert“, was zu einer mit den objektiven Daten kaum übereinstimmenden Steigerung der Kriminalitätsfurcht führen kann.

Und schließlich gibt es auch ein entgegengesetztes Beispiel: Über Selbstmorde im Bahnverkehr wird nach einer Vereinbarung zwischen Bahn und Medien nicht mehr berichtet, um Nachahmungstäter zu verhindern, was unterstellt, dass die Medienberichterstattung eine erhebliche Wirkung hat. Gleichwohl möchte ich den Medien nicht umstandslos die Hauptverantwortlichkeit bei der (Un-)sicherheitskommunikation zuschieben. Trotz aller Probleme ist den Medien insgesamt ein vergleichsweise verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema „Risiko und Sicherheit“ zu bescheinigen.

Sie untersuchen ja auch die Akzeptanz von Sicherheitsmaßnahmen. Was akzeptiert denn der „Durchschnittsbürger“?

Der „Durchschnittsbürger“ toleriert erstaunlich viel und weit mehr als noch vor 20 oder 30 Jahren. So gab es gegenüber der Volkszählung in den 80er Jahren massive Proteste, während die aktuelle Volkszählung kaum auf Probleme gestoßen ist. Das Spannungsfeld von „Sicherheit“ und „Freiheit“, wie es im Forschungsprogramm der Bundesregierung zur zivilen Sicherheit angesprochen wird, spielt im öffentlichen Bewusstsein offensichtlich eine eher untergeordnete Rolle. Zwar sind die Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland weit größer als in anderen europäischen Ländern. Aber insgesamt werden Sicherheitsmaßnahmen kaum als problematisch wahrgenommen, und die Bereitschaft, eigene Daten preis zu geben, ist nach wie vor hoch.

Gibt es demnach eigentlich kein Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit?

Doch; allerdings hat sich das Spannungsverhältnis von „Freiheit“ und „Sicherheit“ sowie „privat“ und „öffentlich“ in der Wahrnehmung der Bevölkerung nicht ganz zufällig verschoben. Das klassische Spannungsverhältnis von „Freiheit“ und „Sicherheit“ war durch die Perzeption bestimmt, dass die individuelle Freiheit beziehungsweise die Privatsphäre durch staatliche Eingriffe bedroht sei. In Zeiten, in denen ein „Grundrecht auf Sicherheit“ behauptet und die Schaffung von Sicherheit zu einer grundlegenden staatlichen Aufgabe erklärt wird, scheint genau diese Abgrenzung in Frage zu stehen.

Man muss nicht gleich jenen beipflichten, die eine Abschaffung der klassischen Privatsphäre behaupten. Aber es ist kaum zu übersehen, dass der traditionelle Gegensatz von Staat und Bürger an Bedeutung verloren hat und die Bürger ihre Daten in sozialen Netzwerken bereitwillig zur Verfügung stellen. Und wer seine Daten bereitwillig zur Verfügung stellt, hat auch nicht mehr das Gespür dafür, dass dies unter Umständen zu Lasten seiner individuellen Freiheit gehen kann.

Bisher haben wir von der Akzeptanz beim Bürger gesprochen. Wie schaffen Sie jetzt den Spagat zu Politik und Wirtschaft?

Unsere Kontakte zu Politik und Wirtschaft sind vielfältig. So stehen die Mitglieder von Risk mit Bundes- und Landesministerien ebenso in Kontakt wie mit „Endanwendern“ von Deutsches Rotes Kreuz, Technisches Hilfwerk oder Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe bis hin zu Polizei, Feuerwehr, kommunalen Einrichtungen und Unternehmen der Privatwirtschaft.

Allerdings ist einzuräumen, dass diese Kontakte nach wie vor verbesserungsfähig sind. Denn viele „Endanwender“ leiden unter Zeit- und Mittelknappheit und stehen Kooperationen vor diesem Hintergrund oftmals skeptisch gegenüber. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Solange nichts passiert, werden Sicherheitsprobleme und -defizite gerne verdrängt. Dies um so mehr, als sich niemand gerne mit der Frage konfrontiert sieht, ob gegebene und bislang akzeptierte Sicherheitsniveaus unter Umständen unzureichend sein könnten. Aber hier ist die Sensibilität in den letzten Jahren gewachsen, und dies kommt auch unseren Forschungen zugute.

ASL

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