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Mechanische Sicherheit 4. Februar 2020

Was geschah beim Kunstraub im Grünen Gewölbe?

Der Einbruch ins Grüne Gewölbe und der Kunstraub in Dresden werfen Fragen auf. War die Sicherheitstechnik mangelhaft? Bernd Schöne hat für den PROTECTOR recherchiert.

Einige Axthiebe genügten, und die Täter hatten sich bei dem spektakulären Kunstraub Ende November 2019 in Dresden Zugang ins Grüne Gewölbe verschafft. Der Einbruch in der Schatzkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) dürfte in die Geschichtsbücher eingehen, ganz gleich, ob es gelingt, zumindest Teile der Diamanten zurückzubekommen.

Bereits kurz nach der Tat wurden Zweifel am Sicherheitskonzept geäußert, die sich noch verstärkten, als die Verantwortlichen das Grüne Gewölbe für mehr als zwei Monate geschlossen hielten. Offensichtlich musste schnell nachgearbeitet werden. Der „Angriff auf die sächsische Identität“, so der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, lässt sich damit nicht wieder rückgängig machen. Was weg ist, ist weg.

Bilder der Videoüberwachung beim Kunstraub in Dresden von schlechter Qualität

Nach dem Diebstahl verschwanden die Einbrecher wie sie gekommen waren, die Hände voller Diamanten und so rechtzeitig, dass die Polizei niemanden mehr antraf. Das Fluchtauto wurde anschließend in Brand gesetzt. Zuvor ging bereits ein Stromverteiler in Flammen auf, der das Areal mit Strom versorgt.

Experten gehen davon aus, dass der dadurch ausgelöste Stromausfall für die relativ späte Alarmmeldung genauso verantwortlich ist, wie für den Ausfall der Straßenbeleuchtung sowie den Mangel an verwertbaren Videoaufzeichnungen von der Straßenseite. Veröffentlich wurden nur Bilder des Axtangriffs auf die Vitrine, auch diese in einer fast unbrauchbaren schlechten Bildqualität. Die Szene wird nur durch die Taschenlampen der Diebe erhellt. IR-Aufnahmen scheinen nicht vorhanden gewesen zu sein.

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Keine Kopplung zwischen Gefahrenmeldetechnik und IT im Grünen Gewölbe

Optimaler Schutz von Museen sieht offensichtlich anders aus. "Neben modernen Kameras ist eine IT-gestützte Videoanalyse zwingend nötig, denn Menschen ermüden bereits nach 15 Minuten. Solche Systeme exportieren wir seit vielen Jahren in alle Welt. Versicherungsgesellschaften setzen ihren Einsatz oft zwingend voraus, bevor sie eine vertragliche Bindung eingehen", erklärt Katharina Geutebrück. Versicherungsgesellschaften waren in Dresden nicht involviert, der Staat, also die Allgemeinheit, kommt für den Schaden auf. Dass die Wachmannschaft wie in einem Krimi aus den 50er Jahren zum Telefonhörer greifen musste, um die Einsatzkräfte zu alarmieren, hält die Expertin auch für nicht zeitgemäß.

Wünschenswert wäre zudem eine direkte Kopplung der Gefahrenmeldetechnik mit der IT der Polizei. „Leider fehlen in Deutschland einheitliche Schnittstellen, um den Einsatzkräften direkt Bilder oder Kartenmaterial senden zu können“. Immerhin schaute einer der Wachleute wohl gerade auf den „richtigen“ Monitor, vielleicht einfach nur, weil dort plötzlich schnell wechselnde Lichtblitze auftauchten, ausgelöst durch die Taschenlampen der Eindringlinge.

Vitrine hält Axt nur wenige Sekunden statt mehreren Minuten stand

Warum die Einbrecher zwei Räume durchschreiten konnten, bevor Alarm ausgelöst wurde, dafür gibt es bis heute keine sinnvolle Erklärung. Hatte etwa der von den Einbrechern gelegte Brand die Meldetechnik außer Betrieb gesetzt? Insgesamt blieben den Dieben nur Minuten, um Beute zu machen.

Die kurze Zeitspanne reichte trotzdem aus, ein Dutzend Schmuckstücke zu stehlen, darunter einen wertvollen Orden, einen besonders großen Diamanten sowie einen üppig dekorierten Hofdegen. Es hätte weit schlimmer kommen können. Insgesamt befanden sich rund 100 Schmuckstücke in der von den Einbrechern geöffneten Vitrine. Sie waren allerdings einzeln mit dem Untergrund vernäht. Dieser extrem simple Schutz erschwerte den Dieben die „Arbeit“ weit mehr als alle Elektronik. Sie verloren wertvolle Zeit und konnten nur einen Bruchteil der erhofften Beute machen. Hätte das Vitrinenglas auch nur einige Minuten standgehalten, sie hätten mit leeren Händen fliehen müssen.

Unmittelbar nach der Tat äußerten die Verantwortlichen ihre Bestürzung darüber, dass die Vitrine den Angreifern nur Sekunden hatte Stand halten können. Versprochen hätten die Lieferanten eine Widerstandszeit von zehn bis fünfzehn Minuten. Dies hätte auch ausgereicht, denn nach fünf Minuten war der erste Streifenwagen vor Ort. In einer Sendung des MDR zum Thema spricht der Kunstversicherungsmakler Stephan Zilkens aus, was auch andere Experten vermuten: im Grünen Gewölbe wurde ungeeignetes, lediglich durchwurfhemmendes Glas verwendet. Dies, so der Versicherungsmakler, sei „grob fahrlässig”.

Wurde durchwurfhemmendes statt durchbruchhemmenden Glas verwechselt?

Wenn Objekte geschützt werden sollen, stehen verschiedene Gläser zur Auswahl. Je nach Aufbau und Dicke unterscheidet man durchwurf-, durchbruch- oder durchschusshemmendes Glas. Durchwurfhemmende Gläser bieten den geringsten Schutz. Sie verzögern den Einbruch nur kurze Zeit, wenn mit massiver Gewalt vorgegangen wird. Sie sind geeignet, tagsüber Geschäfte zu schützen und verhindern Schäden durch Sportbälle oder kleine Steine.

Durchbruchhemmendes Glas schützt auch vor massiver Gewalteinwirkung, also etwa Vorschlaghämmer oder Äxte. Durchschusshemmendes Glas schützt vor Beschuss aus Lang- und Kurzwaffen sowie militärischen Sturmgewehren. Art und Umfang des Schutzes ist in diversen Normen erfasst.

Offen bleibt, ob falsch geliefert wurde, oder ob die Ausschreibung mangelhaft war. Überprüfen lässt sich das alles nur noch schwer, denn die Ausschreibungsunterlagen aus dem Jahr 2005 sind laut Ministerium zehn Jahre später vernichtet worden.

„Da fehlte es an Expertise“, meint Ulrich Haverkamp, Geschäftsführer der Haverkamp GmbH, „mit uns wäre das nicht passiert“. Haverkamp schützt Glas durch bestimmte, dünne Folien. Diese lassen sich auch nachträglich aufbringen. Die Folie hat weder einen nennenswerten Einfluss auf den Querschnitt des Glases noch auf sein Gewicht. Auf der Essener Sicherheitsmesse Security demonstrierte die Firma in der Vergangenheit immer wieder, wie stabil ein Glas bereits durch diese Technik wird.

Dass es auch anders geht, beweist der fehlgeschlagene Raub des Trierer Goldmünzenschatzes. Am 8. Oktober 2019 brachen zwei Unbekannte in das Rheinische Landesmuseum Trier ein, und versuchten die über 2000 Goldmünzen zu stehlen. Sie zertrümmerten das Schutzglas der Vitrine. Doch das Glas hielt stand. Es ließ sich keine Öffnung herausschlagen und die Diebe flohen ohne Beute.

Den ausführlichen Bericht von Bernd Schöne zum Einbruch ins Grüne Gewölbe sowie ein Interview mit Geutebrück-Geschäftsführerin Katharina Geutebrück zur Qualität der Videoüberwachungsbilder lesen Sie im PROTECTOR Ausgabe 1-2/2020, die am 7. Februar erscheint.

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