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IT-Sicherheit

Welche Rolle spielt KI im Einzelhandel?

KI hat längst auch im Einzelhandel Einzug gefunden. Moderne Systeme erlauben das Sammeln gigantischer Datenmengen: Entscheidend ist aber deren Auswertung.

Ladendiebstahl ist ein weit verbreiteter Straftatbestand.
Ladendiebstahl ist ein weit verbreiteter Straftatbestand.

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) im Einzelhandel ist mittlerweile ein fester Bestandteil strategischer Prozesse zur Optimierung von Produktivität, Effizienz und Erlösmodellen geworden. Dass der Handel das Potenzial KI-basierter Anwendungen und Lösungen als hoch einschätzt, zeigen etwa die Daten von Juniper Research. Demnach sollen laut Studie „AI in Retail“, die Ausgaben im Handel für KI bis 2022 weltweit 7,3 Milliarden (Mrd.) Dollar pro Jahr betragen, gegenüber etwa zwei Milliarden Dollar im Jahr 2018.

Die Geschwindigkeit, mit der sich der Handel des Themas KI annimmt, ist aber regional sehr unterschiedlich. Während es etwa in den USA und Großbritannien bereits Amazon Go Stores gibt, in denen Kunden kassenlos einkaufen können, sind in Deutschland solche Konzepte allenfalls in der Erprobungsphase.

Was Künstliche Intelligenz bedeutet

Künstliche Intelligenz ist in der Wirtschaft, der Industrie und im Handel in verschiedenen Szenarien längst elementarer Bestandteil von Entscheidungen und Prozessabläufen. KI bedeutet hier in erster Linie, dass Systeme und Anwendungen den Nutzer bei seinen Aufgaben „intelligent“ unterstützen. Dazu muss über maschinelles Lernen die jeweilige gewünschte Anwendung lernen, Muster oder Verhaltensweisen (wie die von Kunden) zu erkennen, ohne dass die Einzelfälle explizit jeder für sich programmiert worden sind.

Dazu bedarf es einer großen Menge an Daten, die sich aus Text-, Bild, Sensor- oder Videodaten speisen können und die zu Lernzwecken der KI-Anwendung zugeführt werden müssen. Je nach Einsatzgebiet kommen in Verbindung mit untereinander vernetzten IoT-Gewerken schnell Datenmengen zusammen, für deren Verarbeitung Big Data Konzepte notwendig sind. Datenströme müssen unter Umständen aus vielfältigen Quellen in Echtzeit und mit einer hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit prozessiert und für die einzelnen Anwendungen nutzbar gemacht werden. Große Retailer wie Amazon und andere sammeln Millionen von Daten und Transaktionen für Analysezwecke ihrer Kunden, um Kaufverhalten abzuschätzen und Prognosen für künftige Interessen und Absatzwahrscheinlichkeiten zu treffen.

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 In Amazon Go-Stores kann man bereits jetzt kassenlos einkaufen.
 In Amazon Go-Stores kann man bereits jetzt kassenlos einkaufen.

Wobei KI dem Einzelhandel helfen kann

Für den (stationären) Handel haben sich mehrere Kernthemen als relevant im Zusammenhang mit KI herausgestellt: Das Bestandsmanagement, die dynamische Preisoptimierung sowie seamless Retail (kassenloses Bezahlen). Beim Bestandsmanagement ist in den letzten Jahren bereits viel investiert worden, um per predictive Analytics, also der vorausschauenden Analyse über Abverkäufe und Bestandsentwicklung, die Lagerhaltung zu optimieren. Die Lagerbestände lassen sich deutlich verkleinern, wenn der Händler weiß, was, wann und in welchem Laden verkauft wird oder wo die Nachfrage steigen könnte. Große stationäre Händler setzen etwa Roboter in den Filialen ein, die die vorhandenen Artikel per RFID zählen und die Bestände an ein zentrales System weiterleiten.

Auch die dynamische Preisoptimierung ist ein Feld mit KI-Potenzial. Hierbei geht es einerseits darum, die Preise auf die Kunden zuzuschneiden und andererseits vorauszusagen, wann es notwendig sein könnte, Rabatte anzubieten. Dies erfordert allerdings Umsicht bei der Ausgestaltung und Transparenz, damit Preisschwankungen nicht als willkürlich wahrgenommen werden. Ohne den Einsatz von KI und Big Data sind solche Modelle gerade in Branchen, die den Online-Handel als Konkurrenz haben, nicht sinnvoll möglich.

Dazu gehören auch Programme, mit denen Händler Kaufverhalten analysieren können, wie etwa das Heatmapping um zusehen, wo sich Kunden besonders lang aufhalten und wie Kundenströme verlaufen. „Inwieweit gerade solche Lösungen sich im Handel allerdings durchsetzen, bleibt abzuwarten, denn derartige Systeme sind recht aufwendig. In der Regel sollte der Marktleiter sowieso den Überblick über Umsätze und frequentierte Produkte haben. Testweise für einen begrenzten Zeitraum in einzelnen Filialen können solche Systeme aber durchaus Sinn ergeben“, erläutert Frank Horst, Leiter FB Sicherheit und Inventurdifferenzen beim EHI.

Kassenloses Bezahlen als Ziel?

Seamless Retail ist gerade in asiatischen Ländern und den USA mittlerweile immer häufiger anzutreffen. Auch in Deutschland gibt es Pilotprojekte, wie sich ein kassenloses Bezahlen ohne Schlangen kundenfreundlich umsetzen lässt – so etwa bei Rewe in Köln. Bei einem solchen Checkout identifiziert sich der Kunde durch eine Kundenkarte oder App im Store. Anschließend nimmt er seine Artikel aus den Regalen, die er beim Verlassen der Filiale automatisch über sein Kundenkonto bezahlt. KI-Lösungen kommen hier etwa im Zusammenspiel verschiedener Sensoren wie Videokameras, RFID-Tags und Gewichtsmatten in Regalen zum Einsatz („Sensor Fusion“).

Das nahtlose Einkaufen ohne Kassen und mit einem Minimum an „Verlusten“ ist immer noch eine Herausforderung. Die Kameradichte, respektive Sensordichte muss so hoch sein, dass auch ohne eine Gesichtserkennung Handlungen der Kunden in Verbindung von mehreren Winkeln eindeutig zu identifizieren ist. Wenn beispielsweise festgestellt wird, dass ein Gegenstand an einem Regalplatz platziert wurde, kann zusätzlich zur Bildanalyse das Gewicht des Gegenstands auf der Grundlage von Daten bestimmt werden, die eine Waage oder ein Drucksensor im Regal senden. Durch die Bildanalyse kann die Liste der potenziell passenden Artikel auf eine kleine Liste reduziert werden. Das Gewicht des platzierten Artikels kann mit einem gespeicherten Gewicht für jeden der potenziell übereinstimmenden Artikel verglichen werden, um den Artikel zu identifizieren, der tatsächlich am Regalplatz platziert wurde. Durch die Kombination mehrerer Eingaben lässt sich ein höherer Zuverlässigkeitswert erzeugen, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der identifizierte Artikel mit dem Artikel übereinstimmt, der tatsächlich vom Regalplatz entnommen und/oder am Regalplatz platziert wurde.

In einem anderen Beispiel können ein oder mehrere RFID-Lesegeräte eine RFID-Tag-Kennung erfassen oder detektieren, die mit einem RFID-Tag verbunden ist, das in dem Artikel enthalten ist. Die KI „lernt“ aus den gewonnenen Daten wie Bewegungen der Kunden und Vorgängen in den Regalen, welches Produkt tatsächlich im Warenkorb für den Checkout landet.

Zahlreiche Kameras an der Decke registrieren jede Bewegung.
Zahlreiche Kameras an der Decke registrieren jede Bewegung.

Einsatz von KI zur Vermeidung von Inventurdifferenzen

Wenn Systeme bereits dahingehend getestet werden, Produkte aus Regalen nahtlos nachzuverfolgen, liegt der Einsatz von KI-gestützten Lösungen zur Eindämmung von Ladendiebstählen nahe. Über die Sensormatten in Verbindung mit hochauflösenden Kameras und RFID-Tags lassen sich beispielsweise ungewöhnlich hohe Entnahmemengen aus Regalen entdecken und das System könnte Mitarbeiter zumindest darauf aufmerksam machen. Das Unternehmen Vaak in Japan bietet etwa eine Software an, die es speziell zur Analyse von Überwachungsvideos entwickelt hat. Die Software wertet Videobilder in Echtzeit aus und erkennt Verhaltensmuster, die im Vorfeld als auffällig oder verdächtig definiert worden sind. In Supermärkten kann die Software damit Kunden identifizieren, die im Begriff sind, Artikel zu stehlen. Die dahinterstehende KI muss dazu die Körpersprache verstehen lernen.

Typische Verhaltensmuster, die auf gesteigerte Nervosität hindeuten wie rastlose Handbewegungen, umherschweifende Blicke über die Schulter, wiederholtes Streichen durch die Haare oder die auffällige Suche nach Kameras. Dies sind Anzeichen, wie sie sehr häufig bei Ladendieben zu beobachten sind. Je Besucher errechnet die KI aufgrund seines Verhaltens einen kritischen Schwellenwert, der bei einem Überschreiten die Alarmierung eines Mitarbeiters zu Folge hat und der sich die Person genauer ansehen kann. In Deutschland sind solche Systeme eher Zukunftsmusik, vor allem wegen des Aufwands. „Händler setzen hier in der Regel eher auf Mitarbeiterschulungen und gut ausgebildetes Sicherheitspersonal wie Kaufhausdetektive. Kamerasysteme haben hier eher eine abschreckende oder unterstützende Wirkung und helfen derzeit höchstens bei der nachträglichen Aufklärung und zur Beweissicherung“, so Horst.

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Inventurdifferenzen im Einzelhandel sinken
Trotz eines Rückgangs der Inventurdifferenzen im Einzelhandel ist die Schadensumme weiterhin hoch. Die „Sicherheitskraft Handel“ könnte Abhilfe schaffen.

Der Mensch ist nach wie vor wichtig

Letztendlich hält die KI auch beim Einzelhandel immer stärker Einzug, sei es im Rahmen der Supply Chain, bei der Kundenanalyse oder allgemein Prozessoptimierungen mit Hilfe von Big Data. Auch im Bereich von Videosystemen als Teil von kassenlosen Bezahllösungen oder zur Diebstahlprävention oder -nachverfolgung kommt KI häufiger zum Einsatz. Dadurch verändert sich das Anforderungsprofil an die Mitarbeiter, die KI ersetzt sie aber nicht. Selbst das Beispiel aus Japan zeigt, dass letztlich Mitarbeiter einen potenziellen Ladendieb ansprechen müssen. Gleiches gilt für Projekte wie seamless Retail. Auch hier bedarf es qualifizierter Mitarbeiter zur Wartung des Systems, zum Eingreifen im Falle von Störungen oder anderer Probleme vor Ort.

Außerdem bedarf die fortschreitende Digitalisierung des stationären Handels entsprechender Absicherungen gegen Cyberkriminalität. Das Beispiel der Einzelhandelskette Coop in Schweden zeigt die Vulnerabilität digitaler Infrastrukturen in diesem Sektor. Dort sind letztes Jahr die Kassensysteme gehackt und für mehrere Tage lahmgelegt worden. Für vollautomatisierte Stores mit rein digitalen Bezahlsystemen etwa per App wären solche Angriffe katastrophal, denn sie würden das Vertrauen in seine solche Technologie erschüttern. Insofern muss mit der digitalen Entwicklung auch die Sicherheit der Anwendungen und der angeschlossenen Gewerke (Stichwort IoT) Schritt halten und auch der Datenschutz muss immer im Blick behalten werden. Denn die Gefahr des „gläsernen“ Kunden, über den der Handel und auch andere ganz genau in allem, was er konsumiert und wo er sich aufhält, Bescheid wissen, ist durchaus gegeben.

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