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Wertschöpfung neu denken

Die Wertschöpfungskette in der Videobranche steht anhaltend unter Druck. Das wirft die Frage auf, wie lange sich mit den Produkten noch ausreichend Gewinn erzielen lässt. An welchen Stellschrauben Hersteller, Errichter und Distributoren drehen müssen, um zukunftsfähig zu bleiben, war Thema beim Forum Videosicherheit 2018.

Die Teilnehmer des PROTECTOR & WIK Forums Videosicherheit 2018 am 27. Februar im Eden Hotel Wolff in München. Stehend von links: Dirk Ostermann, Manfred Reinhard, Stefan Bauböck, Gerhard Harand, Andreas Albrecht, Bertrand Völckers, Harald Allerberger, Go
Die Teilnehmer des PROTECTOR & WIK Forums Videosicherheit 2018 am 27. Februar im Eden Hotel Wolff in München. Stehend von links: Dirk Ostermann, Manfred Reinhard, Stefan Bauböck, Gerhard Harand, Andreas Albrecht, Bertrand Völckers, Harald Allerberger, Go

Moderator Dirk Ostermann kam gleich zu Beginn der Diskussion auf den Punkt: „Wie können die verschiedenen Beteiligten im Sicherheitsmarkt künftig noch Geld verdienen – vor allem angesichts der Veränderungen im Markt? Kann man es sich leisten, sich auf den Verkauf von Hardware zu konzentrieren oder muss dich die Branche noch viel Lösungs- und Service-orientierter aufstellen?“ Waldemar Gollan von Arecont Vision plädiert für eine differenzierte Sichtweise: „Ob man mit dem Verkauf von Hardware noch wirtschaftlich sein kann, hängt auch davon ab, in welchem Segment man agiert. Die Erfahrungen im Markt zeigen, dass Margen im Hardwareverkauf möglich sind, dies bei Niedrigpreis-Produkten jedoch nur selten aufgeht, aber im Bereich der hochwertigen Systeme, wie wir sie anbieten, ist das Geschäftsmodell nach wie vor tragfähig. Das liegt auch daran, dass die Produkte spezielle innovative Funktionen bieten und diese spezifischen Funktionalitäten von den Kunden geschätzt werden. Zudem merken wir, dass ehemals als Nischenprodukte betrachtete Kameras wie unsere Multi-Sensor-Lösungen, inzwischen sehr populär sind und in vielfältigen Anwendungen Einzug gehalten haben.“

Spezialisierung oder Erweiterung?

Die Frage, ob man mit Hardware genug erwirtschaften kann, hängt also auch vom Produkt und seinen Eigenarten ab. Und je nachdem, wie viele Alleinstellungsmerkmale ein Produkt liefert, desto höher fallen offenbar die Chancen dafür aus. Gordon Grünwald von Axis Communications möchte dabei die Grenze aber nicht messerscharf ziehen: „Die meisten Hersteller von Videotechnik generieren ihren Umsatz nach wie vor hauptsächlich über die Hardware. Natürlich ist das im hochpreisigen Segment einfacher, aber dennoch haben wir vor ein paar Jahren zunehmend Produkte für den preislich niedrigeren Bereich vorgestellt, die erfolgreich laufen. Das war für uns ein strategischer Ansatz, der sich an den Bedürfnissen des Marktes orientiert hat. Auch heute ist noch nicht überall der Wechsel von analog zu digital vollzogen, vor allem nicht bei kleinen und mittleren Unternehmen. Das versuchen wir mit einer entsprechenden Lösung aus Hardware und Software zu adressieren und verzeichnen auch eine starke Nachfrage nach professionellen Produkten im unteren Segment.“ Während der eine also sein Angebot gezielt in einen neuen Bereich hinein erweitert, kann es für andere durchaus sinnig sein, sich auf spezielle Nischen oder Teilmärkte zu fokussieren, wie Bertrand Völckers von Flir erklärt: „Generell kann man sagen, der Wettbewerb ist härter geworden, insbesondere auch durch die stärkere Präsenz der chinesischen Hersteller. Dies kann man als Anregung sehen, sich wieder mehr auf die eigenen Stärken zu besinnen. Es gibt da weitaus mehr Möglichkeiten als nur zu sagen: Wir sind gut im High-end- oder Low-end-Bereich. Flir ist Marktführer im Bereich Wärmebild-Technik und wird sich noch stärker auf diesen Bereich konzentrieren. Genauso haben andere Hersteller ihre Schwerpunkte, in denen sie besser sind als jeder andere.“

Schädliches Preisdumping

Einen der größten chinesischen Anbieter vertritt Arndt Badstieber von Dahua: „Die Frage, ob man mit Produkten noch Geld verdienen kann, möchte ich mit einem ganz klaren Ja beantworten. Das betrifft sowohl den OEM-Bereich, in dem wir schon über Jahre sehr stark vertreten sind, wie auch den Low-Budget- und den High-end-Bereich. Für alle drei Bereiche bieten wir diverse Produkte in hoher Qualität an. Durch die Produktion in China können wir sicherstellen, dass es von den Kosten her wirtschaftlich ist. Was wir aber bewusst nicht tun, ist Preisschleuderei und Dumping.“ Pascal Heinkele von der Firma Mobotix ergänzt: „Wir sehen es definitiv so, dass sich mit Hardware noch Geld verdienen lässt. Aber wir spüren heute nicht nur einen immer stärker werdenden technologischen Wettbewerb, den wir als Mobotix als positiv erachten, sondern auch einen zunehmenden preislichen Wettbewerbsdruck. Und Preis-Dumping passiert durchaus, was Hersteller teilweise auch dazu zwingt, ihr Angebot und ihre Vertriebswege zu überdenken.“

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Preise im Keller?

Das sinkende Preisniveau auf Seiten der Hardware bringt vor allem auch Errichter und Distributoren dazu, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken oder zu optimieren. Gerhard Harand vom österreichischen Distributor Wehrhan TPS holt etwas weiter aus: „Vor zehn oder 15 Jahren war die Wertschöpfung in der Distribution natürlich eine andere als heute. Es ist sicher nicht so, dass hier noch Milch und Honig fließen. Wir haben deshalb auch relativ früh begonnen, uns zu spezialisieren und bei keiner Produktlinie mehr als zwei Hersteller zu vertreten. Bei Kamera-Hardware haben wir zwei Anbieter, bei Thermal-Technik nur einen. Auch beim Videomanagement und den ganzen Zubehörteilen haben wir einen klaren Fokus.

Diese Beschränkung ist die Basis dafür, dass wir den Integratoren das benötigte Know-how liefern können, um eine passende Lösung zu bauen, und damit für uns die Wertschöpfung zu optimieren. Wir können Dienstleistungen und Support mit anbieten, was für uns immer wichtiger geworden ist. Alles über die Hardware zu finanzieren, würde nicht mehr ausreichen. Denn es hat in den letzten vier bis fünf Jahren schon eine preisliche Erosion gegeben, die am Distributor nicht spurlos vorübergegangen ist.“ Christian Heller von EFB Elektronik skizziert den Ansatz seines Unternehmens: „Wir haben im Distributions geschäft unterschiedliche Kunden: Einerseits den Elektrogroßhandel und Installateur, andererseits aber auch die Industrie und den Facherrichter.

Der Elektrogroßhandel beispielsweise braucht im Bereich Low-Cost- Produkte, die schnell und einfach funktionieren – an die Steckdose anschließen, fertig. In dieser Preisklasse ist davon auszugehen, dass kein umfangreicher Support angeboten werden kann. Anderseits war für uns auch klar, dass wir kein Massenportfolio von 30 bis 40 Herstellern anbieten wollen. Vielmehr stehen für uns ausgewählte Produkte unserer Eigenmarke im Fokus, die wir per OEM beziehen. Diese sind dann in höherpreisigen Segmenten angesiedelt, die dann neben ausgezeichneter Funktionalität und Qualität aber auch Serviceleistungen inklusive bieten. Mit beidem kann man wirtschaftlich agieren. Es kommt eben darauf an, den Markt ganz genau zu durchleuchten und kundenindividuelle Lösungen zu schaffen. Essenziell ist, dass man diese Produktsegmente klar abgrenzt.“ Michael Bölsterl vom Errichter Schmid Alarm legt den Fokus auf Service und Mehrwert: „Einer der großen Pluspunkte als Systemintegrator ist letztlich, dass wir mit dem Kunden zusammen die Lösung entwickeln, die er braucht. Dazu ist es besonders wichtig, über ein hohes Maß an Know-how und Erfahrung zu verfügen. Diese Dienstleistung kann man schließlich in Rechnung stellen. Das ist auch nötig, denn die Margen sinken im Videobereich seit Jahren. Zudem muss man sich auf wenige Produkte und wenige Partner spezialisieren, sonst kann man nur schwer qualitativ hochwertige Planung und Integration bieten.“

Märkte gestalten

Harald Allerberger von Hanwha Techwin legt ebenfalls Wert auf Differenzierung: „Natürlich ist der Preis oft sehr dominant, aber man muss ihn immer in Relation zu den Leistungsmerkmalen und dem Gesamtpaket sehen. Hinzu kommt: Mehrwerte muss man aktiv nach außen verkaufen, und dazu braucht man kompetente Partner. Diese Partner in der Wertschöpfungskette müssen wiederum genug daran verdienen können, sonst können sie die kompetente Beratung nicht leisten.“ Stuart Parris von Abus Security-Center rät: „Hersteller sollten genau überlegen, welche Produkte man an welchen Partner oder in welche Projekte hinein liefert. Der Service spielt in der Wertschöpfung gegenüber den Kosten für die Hardware eine immer wichtigere Rolle. Wir konzentrieren uns deshalb verstärkt auf ganzheitliche Lösungen, nicht auf das einzelne Produkt.“ Für Gordon Grünwald hängt die Ausrichtung eines Unternehmens auch von der Größe ab: „Eine kleinere Firma kann natürlich nicht in allen Sparten zuhause sein und muss sich spezialisieren. Aber ein Anbieter mit einem entsprechend hohen Marktanteil kann sich ein großes Portfolio und die notwendigen personellen Ressourcen leisten, Wenn man für die einzelnen Segmente einen passenden Lösungsansatz hat, dann kann man sich durchaus sehr breit aufstellen.“

Gütesiegel: Made in Germany?

In einer Diskussion um Preissegmente und Qualitätsniveaus darf ein Aspekt nicht fehlen. Dieser betrifft den Produktionsstandort und die Frage, inwiefern sich dieser auf die Produktqualität und die Vermarktung auswirken kann. Moderator Dirk Ostermann schildert seine Sicht: „Ich habe einige Jahre in den USA gelebt und kann bestätigen, dass Made in Germany dort hoch angesehen ist. Das steht für Qualität und auch für Know-how. Die Frage ist aber, ob das als Unterscheidungsmerkmal heute noch ausreicht und es sich lohnt, ihn Deutschland zu fertigen.“ Pascal Heinkele ist fest davon überzeugt: „Wir als Mobotix wollen uns aber nicht über den Preis sondern über die Leistung unserer Produkte und den Mehrwert definieren, den sie bieten. Wir glauben, dass unsere Kunden das auch wertschätzen. So sind unsere Produkte beispielsweise Made in Germany, was die Entwicklung, die Produktion und alle anderen Bereiche anbelangt. Und dank hervorragender Qualität, Robustheit, Langlebigkeit und Sicherheit können wir mit einem besseren Return-on-Investment als viele andere Lösungen punkten. Das gilt es verstärkt im Markt zu vermitteln, um noch erfolgreicher als bisher zu sein.“ Waldemar Gollan als Vertreter eines amerikanischen Unternehmens stimmt zu und zieht gleichzeitig Parallelen: „Wir produzieren immer noch bewusst in den USA, denn ‚Made in USA‘ ist genauso ein Gütesiegel wie ‚Made in Germany‘. Und die Vorgaben hierfür sind sehr hoch, so ist genau festgesetzt, wie viel Wertschöpfung und Dienstleistung wir in den USA erbringen müssen. Das geschieht natürlich zu höheren Produktionskosten, wie zum Beispiel den Stundenlöhnen, die ein Zigfaches von dem betragen, was in China Standard ist. Somit können wir das preisaggressive Marktsegment nur bedingt adressieren, einfach aufgrund des Preisdrucks. Wenn wir also ein hohes Qualitätsniveau und das Siegel Made in USA behalten wollen, ist es die logische Konsequenz, dass wir uns auf höherwertige Produkte fokussieren.“

Deutsche Eigenheiten

Auch wenn also das Gütesiegel Made in Germany hierzulande gar nicht das vordergründigste Argument bei der Entscheidung für ein Produkt oder einen Lieferanten sein mag, so legt der deutsche Markt dennoch Wert auf regionale Leistungen. So scheint es auch nötig, Materialien wie Datenblätter und Infoseiten auf Deutsch bereit zu stellen, wenn man einen langfristigen Erfolg erzielen will. Gerhard Harand ergänzt: „Es betrifft auch den Support, der auf Deutsch sein muss. Man kann es sich nicht leisten als Hersteller oder Distributor nur eine englische Hotline zur Verfügung zu stellen. Denn die Monteure, die eine Videoanlage in Betrieb nehmen sollen, sprechen beileibe nicht alle fließend englisch. Einen englischen Support zu kontaktieren zu müssen, wäre ein riesiger Hemmschuh. Deshalb gehört der regionale Support auch zum Gesamtpaket, zusätzlich zur Lieferung entsprechender Produkte und dem passenden Preis.“ Arndt Badstieber pflichtet bei: „Diese Anforderung besteht ganz klar. Deshalb betreiben die meisten internationalen Firmen auch in Deutschland eine eigene Niederlassung mit einer eigenen Hotline mit eigenen Ansprechpartnern, auf die der Distributor dann zurückgreifen kann. Der Bedarf an deutschem Support zeigt sich auch daran, dass Schulungen, die über den Distributor gestemmt werden, in Deutschland zu 90 Prozent auf Deutsch abgehalten werden.“ Dass die internationalen Firmen das durchaus ernst nehmen, meint Christian Heller: „Ich finde es auch sehr interessant, dass unsere Lieferanten aus Fernost immer mehr deutschsprachige Leute in ihren Reihen haben. Diese Fachleute haben in Deutschland gelernt und studiert und sind jetzt zurück in die Heimat, um von dort aus den deutschen Markt zu betreuen. Das macht die Kommunikation wesentlich einfacher und schafft eine ganz andere Vertrauensbasis – obwohl unsere Leute im Produktmanagement natürlich Englisch können.“

Bewusstsein und Orientierung

Die tatsächlichen Werte lassen sich nicht allein am Preis bemessen, dies ist damit herausgearbeitet worden. Es gilt, Bewusstsein zu schaffen für die Qualität des Gesamtpakets und sich nicht nur auf einen verlockenden Preis zu konzentrieren. Daneben herrschen auf Seiten der Kunden oft irrige Vorstellungen, was Videotechnik zu leisten im Stande ist. Stuart Parris merkt an: „Eine realistische Einschätzung bei den Anwendern zu erzielen, was ein Videosystem zu welchem Preis leisten kann, ist enorm wichtig. Man muss sich auch von Vorstellungen lösen, die man aus Film und Fernsehen kennt. Hier wird vom Satelliten aus ein Kennzeichen ausgelesen und dergleichen mehr. Diese Erwartungshaltung begegnet Errichtern tagtäglich und da müssen sie sauber argumentieren können, was Sicherheitstechnik kann und was nicht, vor allem, wenn sie noch dazu bezahlbar sein soll.“ Manfred Reinhard vom Verband für Sicherheitstechnik empfiehlt: „Es ist in der Praxis ja so, dass ein Kunde, der nur zehn Kameras kauft, nicht unbedingt das Know-how hat, alles korrekt zu beurteilen. Ein kleiner Kunde ist daher gut beraten, wenn er sich erkundigt, sich einen Planer holt und sich beraten lässt. Die Planer wiederum sollten sich an gängige Normen und Richtlinien halten sowie relevante Planungshandbücher zu Rate ziehen. Der Kunde andererseits muss sich Gedanken machen, welche Ziele er überhaupt erreichen will. Danach kann man gemeinsam die Anbieter auswählen, die diese Ziele am besten umsetzen. Der Preis ist natürlich auch ein Kriterium, sollte aber dahinter zurücktreten.“ Harald Allerberger ergänzt: „Ich glaube, dass sich die Hersteller sehr bemühen, die Errichter, Distributoren und auch Planer weiterzubilden und zu schulen. Aufzuklären, was Technologie leistet, ist die Aufgabe der Hersteller und in der Folge auch der Errichter. Denn die müssen es nachher sauber umsetzen und nicht einfach nur billig und schnell.“

Wird für Service bezahlt?

Doch Gerhard Harand merkt dazu auch an: „Dennoch bleibt die Frage, ob der Service am Ende bezahlt wird. Wir arbeiten auch mit Fachplanern zusammen und stellen fest, dass der Kunde nicht immer bereit ist, für eine Fachplanung entsprechend zu bezahlen. Beauftragt der Kunde für das Sicherheitsgewerk, das vielleicht fünf Prozent vom gesamten Elektro-Volumen macht, noch einen separaten Planer, der zusätzlich kostet?“ Es zeigt sich, dass die Preisdiskussion von den Produkten auf die Dienstleistung ausstrahlt, und der Sparzwang auch in der Planung angekommen ist. Dennoch ließe sich mit einer fachkundigen Planung oft mehr einsparen als mit einem Rabatt auf einzelne Kameras. Denn schon Großmutter wusste, wer billig kauft, kauft zweimal. Das sollte man in Sachen Sicherheit nach Möglichkeit vermeiden.

MG

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