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Produktsicherheitsgesetz 6. August 2012

Wie der Errichter zum Hersteller wird

Die zentrale Rechtsvorschrift für die Sicherheit von Geräten, Produkten und Anlagen in Deutschland ist das am 1. Dezember 2011 in Kraft getretene Produktsicherheitsgesetz (ProdSG). Gleichzeitig ist durch die 9. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (ProdSV) die europäische Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (MaschRL) weiter in deutsches Recht umgesetzt worden.

Kraftbetätigte Fenster sind mögliche Gefahrenstellen.
Kraftbetätigte Fenster sind mögliche Gefahrenstellen.

Die neuen Vorschriften sollen die Sicherheit für Endverbraucher erhöhen und Unfälle mit Produkten und Maschinen vermeiden. Neben Haarföhn, Wasserkocher oder Minibagger fallen auch motorisch betriebene („kraftbetätigte“) Fenster in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften. Diese werden als Öffnungen zur Rauchableitung in Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) sowie zur natürlichen Gebäudelüftung seit Jahrzehnten tausendfach in Deutschland verbaut. Für Planer, Errichter, Instandhalter und Betreiber solcher Anlagen ergeben sich durch die neuen Vorschriften weitreichende Konsequenzen.

Kraftbetätigte Fenster sind Maschinen

Kraftbetätigte Fenster gelten rechtlich gesehen als Maschinen, wenn Antrieb und Fenster beim Einbau zusammengeführt werden. Maschinenhersteller ist derjenige, der den Zusammenbau durchführt. Das kann der RWA-Errichter, der Fenster- oder der Metallbauer sein. Der Maschinenhersteller hat eine Risikobeurteilung bezüglich möglicher Gefahren vorzunehmen sowie geeignete Schutzmaßnahmen festzulegen und umzusetzen. Sind Fachplaner oder Architekten am Bau beteiligt, können diese Risiken ermitteln und Schutzmaßnahmen festlegen.

Das entlässt den Errichter jedoch nicht aus der Pflicht: So hat er beim Einbau mit einer eigenen Risikobeurteilung die planerischen Vorgaben zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Verantwortung für Art und Umfang der Risikobeurteilung trägt grundsätzlich der Maschinenhersteller. Instandhalter haben bei Reparaturen und Modernisierungsmaßnahmen zu beachten, dass wesentliche Veränderungen rechtlich als erneute Inverkehrbringung und damit als „Neubau“ anzusehen sind.

Risikobeurteilung und Schutzmaßnahmen

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Bei motorisch betriebenen Fenstern treten insbesondere Quetsch- und Schergefahren an den Schließkanten auf. Um diese zu minimieren, sind in einer Risikoanalyse alle möglichen Gefährdungen, Gefahrensituationen und Gefahrenereignisse zu ermitteln. Eine häufig angewendete Methode berücksichtigt Einbausituation (E), Nutzung (N) und Steuerung (S) des kraftbetätigten Fensters und ordnet es entsprechenden Risikoklassen zu: Ist das Fenster nicht zugänglich, wird es in die Risikoklasse E1 (geringes Risiko) eingestuft. In diesem Fall müssen keine Schutzmaßnahmen getroffen werden und alle weiteren Prüfungen erübrigen sich. Eine automatische Ansteuerung durch die Gebäudeleittechnik dagegen führt zur Risikoklasse S2 (höheres Risiko). Auch bei einer Einstufung in die Risikoklasse E1 ist eine vollständige Dokumentation anzufertigen.

Die Kombination der gefundenen Risikoklassen E, N und S führt schließlich zur Einordnung des kraftbetätigten Fensters in eine der Schutzklassen 0 bis 4. Jeder dieser Schutzklassen sind mögliche Maßnahmen zur Gefahrenminimierung zugeordnet. So sind in Schutzklasse 1 lediglich Warnhinweise anzubringen, während in der höchsten Schutzklasse 4 umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen, wie beispielsweise Kontaktschalter, Lichtschranken oder eine „Totmannsteuerung“, notwendig sein können. Entspricht das kraftbetätigte Fenster den Vorgaben der MaschRL, hat der Errichter eine EG-Konformitätserklärung auszustellen und das CE-Kennzeichen anzubringen.

Haftungsrisiken

Bei Nichtbeachtung der sich aus dem ProdSG ergebenden Verpflichtungen bestehen für alle Baubeteiligten erhebliche Haftungsrisiken. Das neue Gesetz übernimmt nicht nur die Bußgeldbestimmungen und Strafvorschriften des vorher gültigen GPSG, sondern formuliert diese um, nimmt neue Tatbestände auf und erhöht den Bußgeldrahmen. So sind jetzt unter anderem Zuwiderhandlungen gegen die CE-Kennzeichnungsvorschriften strafbewehrt.

Es ist daher unerlässlich, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen und das notwendige Fachwissen zu erwerben, um mögliche Gefährdungspotenziale richtig zu beurteilen und geeignete Schutzmaßnahmen umzusetzen. Eine entsprechende Ausbildung wird mittlerweile von verschiedenen Institutionen am Markt angeboten, unter anderem auch von der ZVEI-Akademie für Sicherheitssysteme. Bereits seit Anfang 2011 wird dort ein Lehrgang „Sachkundige Person für kraftbetätigte Fenster“ angeboten.

  • Das zwölfseitige ZVEI-Merkblatt 82008 gibt Hinweise zu Risikobeurteilung und Schutzmaßnahmen und enthält zahlreiche Checklisten, Musterformulare und Tabellen. Es kann in gedruckter Form in der Geschäftsstelle der Arge Errichter und Planer unter www.zvei-errichter.de bestellt werden.
  • Die ZVEI-Broschüre RWA aktuell 3 enthält ausführliche Informationen zu Rechtsgrundlagen, Risiko- und Schutzklassen, Verantwortlichkeiten und zur Bestimmung der Schutzklassen. Sie kann kostenlos unter www.rwa-heute.de heruntergeladen werden.
  • Das nächste Fachseminar „Sachkundige Person kraftbetätigte Fenster nach Maschinenrichtlinie 2006/42/EG“ der ZVEI-Akademie für Sicherheitssysteme findet am 19. September 2012 in Stuttgart statt. Weitere Informationen unter www.zvei-akademie.de.

Christoph Kern, stellvertretender Vorsitzender der ZVEI-Arbeitsgemeinschaft Errichter und Planer sowie Geschäftsführer der D+H Rauchabzug-Lüftung GmbH in Hamburg

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