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Zahlen mit Format

Teil 3

Volkhard Delfs kennt die Mechanismen der Technologieentwicklung ebenso: „Bei uns zeigt sich ein ähnliches Bild, die Masse kommt aus der Unterhaltungselektronik. Wir können zwar in der Entwicklung unsere Wünsche äußern bezüglich der Chips, die in diesen Geräten verwendet werden, aber der Einfluss ist begrenzt. Wir müssen dann auf dem aufsetzen, was entwickelt wurde und zur Verfügung steht. Und im Übrigen ist es ja so: PAL wurde damals auch nur der Standard im Videoüberwachungsbereich, weil es der Standard im Fernsehen war. Und genauso ist 4K nun in aller Munde, weil es eben im Broadcast-Bereich momentan vorangetrieben wird.“

Gegentrend oder Brückentechnologie?

Das Vorantreiben neuer Technologien und Standards in den Märkten der Unterhaltungselektronik und Fernsehtechnik hat natürlich einen Einfluss auf Kunden und Anwender. Aber auch die verschiedenen Marktteilnehmer in der Sicherheitsbranche prägen ihn. Ein weiteres häufig anzutreffendes Schlagwort in der Videobranche ist HD-SDI oder HDCVI/HDTVI. Dabei handelt es sich prinzipiell wieder um aus der Consumer-Sparte übernommene beziehungsweise adaptierte Formate für digitale Videoübertragung, die von einigen intensiv beworben werden. Gleichzeitig sehen viele in dieser Technik bestenfalls einen künstlichen Gegentrend zu IP oder eine digitale Brückenlösung für analoge Umsteiger.

Klaus Middelanis erklärt den Hintergrund: „HD-SDI ist ein digitales Video-Signal, das über ein Koaxialkabel übertragen wird. Dafür wird das Signal in ein serielles Format umgewandelt, welches man, genau wie ein Signal einer Netzwerkkamera, dann auch wieder dekodieren muss, was meist für Latenz sorgt. Hinzu kommt: Die Variante von HD-SDI, die in der Videoüberwachung genutzt wird, ist anders als im Broadcast-Bereich, auch noch komprimiert, sonst könnte man über eine 200 Meter lange Leitung, wie sie heute Standard ist, niemals ein Full-HD-Bild übertragen.“

Dirk Schiller, Sales Manager, Dahua Technology Co. Ltd.
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Dirk Schiller skizziert den Ansatz solcher Formate: „HDCVI – oder auch HDTVI, wie es andere nennen – setzt auf den Plug-and-Play-Ansatz. Für Errichter die über Jahre analoge Anlagen gebaut haben ändert sich bei der Installation einer HDCVI Anlage im Großen und Ganzen nichts. Es geht uns darum, dass unsere Partner vorhandene Infrastrukturen nutzen und mit geringem Aufwand dem Kunden kostengünstig eine hochqualitative Lösung anbieten können. HDCVI nützt also nicht nur dem Errichter, sondern auch dem Kunden.“

Davon gibt es immer noch einige, wie Christian Wimmer weiß: „Wir haben auch bis vor kurzem HD-SDI vertrieben und sind nun umgestiegen auf HDTVI. Denn es gibt immer noch viele Errichter dort draußen, die mit der IP-Technik nicht warm werden. Es geht auch den Anwendern entgegen, die einfach nur ein Bild sehen wollen. Das kann man mit dieser Technik gut und günstig lösen, weil man keine neue Infrastruktur einrichten muss. Aber man muss auch sagen: Das wird sicherlich nicht die Zukunft sein, es ist eine Brückentechnologie.“

Beim Aspekt der vorhanden Verkabelung regt sich Widerspruch, so auch von Volkhard Delfs: „Ich möchte zu bedenken geben, dass die Koaxial-Infrastruktur, die vorhanden ist, in vielen Fällen qualitativ nicht so gut ist, wie man sich das gerne wünschen würde. Manchmal sind die Kabel sogar so schlecht, dass zwar ein analoges Signal gerade noch zu übertragen ist, aber sicher kein hochauflösendes digitales Video. Und selbst wenn die Infrastruktur in Ordnung ist, bleiben teilweise Reichweitenprobleme, weil man eben nicht so einfach 500 Meter überbrücken kann.“

Mit Vollgas in die Sackgasse?

Manch einer findet es sogar einen Irrweg, auf Brückenlösungen wie HD-SDI und Co zu setzen. Uwe Gleich gibt zu bedenken: „Ich verstehe, dass man mit solchen Lösungen den Errichtern einen Gefallen tut, die sich nicht mit IP-Kameras und Netzwerken auseinandersetzen wollen. Aber für den Kunden wäre es besser, wenn man ihnen eine langfristige Perspektive aufzeigt. Sie wären vermutlich bereit, in ein Netzwerk zu investieren, das ihnen noch zahlreiche weitere Vorteile bringen kann. Der Kunde hat auch länger Investitionssicherheit, er muss nicht in naher Zukunft schon wieder alle Komponenten austauschen, weil es vielleicht in ein paar Jahren heißt, HD-SDI-Kameras und Recorder sind nicht mehr verfügbar.“

Waldemar Gollan geht noch weiter: „Ich lehne im Bezug auf HD-SDI den Ausdruck ‚Brückentechnologie‘ ab, da es sich für mich um eine ‚Sackgassentechnologie‘ handelt, durch die dem Endkunden der Weg zum Umstieg versperrt wird beziehungsweise zusätzliche Kosten aufgebürdet werden. Dies wird nicht sofort sichtbar, ist dann aber unumgänglich. Denn der Anwender kommt mittelfristig nicht um die Umstellung auf offene und anwendungsneutrale IP-basierte Lösungen herum, man kann diesen Prozess lediglich verzögern. Der Wechsel auf die IPTechnologie ist, wie man bereits in der Telefonie gesehen hat, unumkehrbar und perspektivisch mit Vorteilen verbunden. Dies gilt auch für die Sicherheitstechnik und je eher man diesen Schritt vollzieht, desto flexibler kann der Endkunde auf neue, zusätzliche Anforderungen reagieren. Er gewinnt durch die Installation einer strukturierten Cat-6-Neuverkabelung, weil sein Netzwerk dann auch für andere Dienste nutzbar ist und er nicht durch die Koax-Verkabelung eingeschränkt wird.“

Trotz aller schönen Schlagworte und der intensiv beworbenen Neuheiten kommt es in der Praxis eben doch darauf an, den Kunden richtig zu beraten. Schließlich benötigt dieser ein individuelles System und keine einzelnen Funktionen und Formate. So sieht es auch Wilhelm Fischer: „Der Kunde vertraut auf unser Know-how und unsere Erfahrung. Das kann auch einmal bedeuten, dass weniger Auflösung sprichwörtlich mehr ist. Es kommt vor allem darauf an, dass seine Anlage stabil läuft. Das ist für mich keine Pixel-Entscheidung und keine 4K-Entscheidung, sondern eine Entscheidung für eine individuelle Lösung, bei der man auch ein anständiges Preis-Leistungs-Verhältnis erreicht. Es muss auch eine Lösung sein, die leicht zu bedienen ist. Das ist in meinen Augen viel wichtiger, als mit gut klingenden Schlagworten die neueste Technik verkaufen zu wollen.“

4K wird also kommen, wenn auch nicht sofort und in jeder Anwendung. Wahrscheinlich ist, dass sich der Videoüberwachungsmarkt in den nächsten Jahren für die Mehrheit der Anwendungen bei 1080p einpendeln wird. Höhere Auflösungen dürften vorerst den Nischen vorbehalten bleiben, die daraus auch wirklich einen Nutzen ziehen können. Dennoch sollte man den anhaltenden Technologiewandel und die Weiterentwicklungen in Sachen Codecs und Formate nie aus den Augen verlieren. Die Chancen, die sie bieten, sind nicht zu unterschätzen.

Michael Gückel
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