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„Gemeinsamkeit ist Schlüssel zum Erfolg“

Miteinander statt nebeneinander – das ist der Grundsatz der Initiative Wirtschaftsschutz. PROTECTOR & WIK sprach mit Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière über das in Europa einmalige Bündnis zwischen Sicherheitsbehörden und Wirtschaftsverbänden.
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière.
Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière.

PROTECTOR & WIK: Herr Minister, im April dieses Jahres hat die von Staat und Wirtschaft getragene Initiative Wirtschaftsschutz unter der Federführung Ihres Hauses die Arbeit aufgenommen. Welche Ziele hat diese Initiative?

Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière: Wir verfolgen mit der Initiative Wirtschaftsschutz drei Ziele: Erstens die Sensibilisierung der Unternehmen für Gefahren durch Spionage und Kriminalität. Zweitens wollen wir die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft weiter verbessern und drittens die Eigenverantwortung vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen stärken. Mit unserer Initiative rücken wir gemeinsam – also die vier Verbände BDI, DIHK, ASW und BDSW und die vier Behörden BfV, BKA, BSI und BND – das Thema Sicherheit bei den Unternehmen stärker in den Fokus. Unternehmern, Arbeitnehmern und Geschäftsführungen muss noch deutlicher werden, dass hier jeder Einzelne gefragt ist. Sicherheit geht alle an.

Vom Pförtner bis zum Vorstandsvorsitzenden. Es geht also auch um einen Mentalitätswechsel, darum Gefahren zu erkennen und gemeinsam dagegen vorzugehen. Gemeinsamkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass Projekte zum Thema Wirtschaftsschutz wie zum Beispiel Fortbildungen für Geschäftsführer und Sicherheitsverantwortliche gemeinsam von Staat und Wirtschaft konzipiert und umgesetzt werden. Ein gutes Angebot ist hier die neu eingerichtete Informationsplattform www.wirtschaftsschutz.info, über die sich deutsche Unternehmen zu Spionageabwehr, Cybercrime bis hin zu terroristischer Bedrohung informieren können. Hier finden sie auch konkrete Ansprechpartner in den Bundes- und Landesbehörden, die gerne bei Fragen weiterhelfen. Das ist wirklich neu. Die manchmal langwierige Suche nach der zuständigen Stelle oder dem richtigen Ansprechpartner wird so viel einfacher. Das ist ein enormer Fortschritt.

Ein Schadenspotenzial von geschätzten 50 Milliarden Euro allein durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung, das kann keine Volkswirtschaft der Welt ohne merkliche Einbußen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit schultern. Wurde es höchste Zeit für die Initiative Wirtschaftsschutz und die Nationale Wirtschaftsschutzstrategie?

Ja! Wir beobachten, dass die Angriffe insgesamt zunehmen. Oft ist es für die Betroffenen aber schwierig, einen Angriff überhaupt zu registrieren. Manche scheuen sich auch vor der Strafanzeige aus Sorge vor einem Imageverlust. Aber das jährliche Schadenspotenzial wird vom Verfassungsschutz auf bis zu 100 Milliarden Euro geschätzt. Fest steht, dass das Thema Wirtschaftsschutz durch die zunehmende Nutzung von Informationstechnik in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Der Richtlinienentwurf der Europäischen Union zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, derzeit im Europäischen Parlament diskutiert, definiert klar, was Geschäftsgeheimnisse sind und wie diese zu schützen sind.

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Gerade im Verletzungsfall müssen Unternehmen zukünftig darlegen, wie sie sich geschützt haben. Mittelbis langfristig wird das dazu führen, dass in Europa Sicherheitsstandards für Unternehmen vereinbart werden. Wie wir in der Initiative Wirtschaftsschutz zusammenarbeiten, ist bis jetzt einmalig in Europa. Angesichts der Vernetzung greift Wirtschaftsschutz nur für Deutschland jedoch zu kurz. Zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland gehört zwingend auch der Schutz des Wirtschaftsstandortes Europa. Die internationale Kooperation soll im Rahmen der nun gestarteten Initiative intensiviert werden.

Nicht wenige kleine und mittelständische Unternehmen leisten sich trotz der Bedrohungslage auch heute noch zu wenig Sicherheit. Einer der Gründe dafür ist, dass die reale Bedrohungslage ignoriert wird. Oft spielt aber auch die Scheu vor sicherheitsbezogenen Investitionen oder eine zu dünne Personaldecke eine entscheidende Rolle. Wie kann die Initiative Wirtschaftsschutz solchen praktisch schutzlosen Unternehmen gezielt helfen?

Sicherheit braucht Investitionen. Sicherheit gibt es nicht umsonst. Unterlassene Sicherheit kann viel teurer werden. Aber nicht jedes Unternehmen braucht alles. Unternehmer denken wirtschaftlich und das ist richtig so. Gerade deshalb ist es wichtig, nur das zu tun, was für das eigene Unternehmen sinnvoll ist. Wichtig ist zunächst zu erkennen, wo die spezifischen Bedrohungen liegen und dann in einem zweiten Schritt passgenaue Konzepte zu erarbeiten. Der Speiseplan für die Kantine im Intranet ist nicht so schützenswert wie die Liste bevorstehender Innovationen. Die Erarbeitung eines Sicherheitskonzepts für einzelne Unternehmen ist nicht Aufgabe des Staates.

Aber wir wollen Unternehmen dabei helfen zu erkennen, wofür sie Sicherheitsmaßnahmen brauchen. Dafür sind unsere Produkte da: Fortbildungsangebote und ein Leitfaden mit praktischen Empfehlungen von der Wirtschaft für die Wirtschaft, der um Angebote von Online-Seminaren ergänzt wird. Alle unsere Bemühungen laufen jedoch ins Leere, wenn gerade die kleineren und mittleren Unternehmen nicht selbst ihr Sicherheitsbewusstsein schärfen. Unternehmer müssen sich der Gefahren und Bedrohungen durch Spähangriffe und Sabotage bewusst sein. Spionage gehört schon lange nicht mehr nur ins Reich von Agentenfilmen. Sie ist längst real. Zurückhaltung oder die Einschätzung, die eigenen Produkte und Ideen seien nicht bedeutend genug für Ausspähversuche, sind fehl am Platz. Deutsche Unternehmen haben einen Vorsprung, was ihr Know-how und ihre Innovationskraft anbelangt.

Dieser ist schnell aufgebraucht, wenn die Produkte schon in der Phase der Erforschung gestohlen und auf Messen stolz durch die Konkurrenz vorgestellt werden. Eines der Leitmotive unserer „Initiative Wirtschaftsschutz“ bezieht sich daher auf „Werte“, schützenswerte Werte. Darunter sind alle Unternehmenswerte zu verstehen, die von Spionage und Sabotage angegriffen werden können. Nicht nur IT oder nur Werkschutz, sondern ganzheitlich gedacht: von der IT bis zum einzelnen Mitarbeiter. IT-Sicherheit kann nicht ohne Wirtschaftsschutz gedacht werden und Wirtschaftsschutz nicht ohne IT-Sicherheit.

Es reicht nicht aus, wenn Sie im Unternehmen den Zugang zu Daten mit Passwörtern schützen, solange Ihre Mitarbeiter nicht sensibilisiert dafür sind, dass IT-Systeme schwer geschädigt werden können, wenn sie dubiose E-Mail-Anhänge öffnen. Studien zur Spionage in der Wirtschaft zeigen immer wieder, dass die Hälfte aller Angriffe unbewusst oder bewusst von eigenen Mitarbeitern ausgeht. Das Bild eines Sicherheitsexperten finde ich treffend: „Ein sensibler Mitarbeiter, der weiß, worauf es ankommt, ist die beste Firewall eines Betriebs.“ Der Satz gilt allerdings auch umgekehrt. Mit der Initiative Wirtschaftsschutz arbeiten wir daran, dass „Made in Germany“ nicht nur für Qualität, sondern auch für hohe Sicherheitsstandards steht. Das ist ein wertvoller Verkaufsfaktor.

In der gemeinsamen Erklärung der Spitzenverbände der Wirtschaft und Ihres Hauses unter dem Titel „Wirtschaftsschutz 2015“ wurde ein Beauftragter für Wirtschaftsschutz als zentraler Ansprechpartner für Behörden und Wirtschaft genannt. Wird diese Stelle noch eingerichtet?

Wir sind uns einig, das Bundesministerium des Innern ist federführend in Sachen Wirtschaftsschutz – und natürlich arbeiten wir hier mit allen betroffenen Stellen in der Bundesregierung gut und eng zusammen. Konkret setzen wir die engere Zusammenarbeit im Steuerungskreis der Initiative Wirtschaftsschutz um. Hier arbeiten, koordiniert durch mein Ressort, das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und der Bundesnachrichtendienst als gleichberechtigte Partner mit dem BDI, DIHK, ASW und BDSW zusammen.

Klaus Henning Glitza

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