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Öffentliche Sicherheit 27. Februar 2024

Mit Risikomanagement auf Polykrisen vorbereitet

Die Bandbreite an Polykrisen im globalen Maßstab nimmt zu. Wie können sich Unternehmen mithilfe ihres Risikomanagements darauf vorbereiten?

Die Bandbreite an Polykrisen im globalen Maßstab nimmt zu, beispielsweise durch Piraterie und Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer. 
Die Bandbreite an Polykrisen im globalen Maßstab nimmt zu, beispielsweise durch Piraterie und Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer. 

Das Risikomanagement von Unternehmen beschränkt sich in vielen Fällen leider auf das reine Reagieren – in Zeiten der weltweiten Polykrisen ein fataler Fehler.

Zu Jahresbeginn steht das Schweizer Davos regelmäßig im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Dann ist der mondäne Kurort Treffpunkt von Politikern, Wirtschaftsvertretern, Wissenschaftlern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt. Der Grund ist das jährlich stattfindende World Economic Forum (WEF). In diesem Jahr folgt das WEF dem Motto: „Vertrauen wiederherstellen“. Ein Leitsatz, der mehr als notwendig erscheint mit Blick auf die Polykrisen im globalen Maßstab. Der mit dem WEF-Stelldichein regelmäßig veröffentlichte „Global Risks Report“ warnt in seiner aktuellen Ausgabe „vor einer globalen Risikolandschaft“. Das heißt laut der Report-Macher, dass „bereits erzielte Fortschritte in der menschlichen Entwicklung allmählich wieder erodieren. Verschiebungen in der globalen Machtdynamik, im Klima, in der Technologie und in der Demografie bringen die Anpassungsfähigkeit sowohl von Staaten als auch Einzelpersonen an ihre Grenzen.“

Polykrisen: Desinformation, Cyberrisiken und bewaffnete  Konflikte

Die Risikobandbreite des WEF-Reports sieht in den „Top10“ der größten Risiken in den kommenden beiden Jahren unter anderem die Desinformation, Cyberrisiken und bewaffnete zwischenstaatliche Konflikte. Letztere zeigen sich beispielsweise im seit Jahren andauernden Ukraine-Krieg, dem chinesisch-taiwanesischen-Konflikt sowie im Gaza-Krieg. Weitere Toprisiken sieht der Global Risks Report in der Inflation und einem wirtschaftlichen Abschwung, die als kurzfristige Risikofaktoren genannt werden. In einer zehnjährigen Vorausschau beherrschen vor allem Umweltfragen die ersten drei Ränge der größten Risiken. Neben Extremwetterereignissen belegen kritische Veränderungen der Erdsysteme und ein Verlust an biologischer Vielfalt die ersten drei Plätze.

Vorausschau, Vorsorge und StaRUG

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Auf diese Risikobandbreite müssen Unternehmen nach Aussagen von Ralf Kimpel vorbereitet sein, um Krisen in der eigenen Geschäftstätigkeit vorzubeugen. Für Kimpel, Vorsitzender des Vorstands der RMA Risk Management & Rating Association e.V., sei das alternativlos: „Wollen Unternehmen die Risiken minimieren, gehört ein vorausschauendes Krisenmanagement in der eigenen Organisation integriert.“ Herbert Saurugg, Krisenvorsorgeexperte, ergänzt in diesem Kontext: „Professionelles Krisenmanagement beginnt bereits weit im Vorfeld möglicher Krisen mit der Vorsorge und der Vorbereitung auf unerwartete Ereignisse.“ Hinzu kommen gesetzliche Anforderungen, die einen vorausschauenden Blick erfordern. Ein Beispiel ist „StaRUG“, dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz. Dort heißt es unter anderem in „§ 1 Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern“: „Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können.“ Und weiter: „Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. „Das setzt voraus, dass sich Organisationen grundlegend und umfassend mit einem professionellen Krisen- und Risikofrüherkennungssystem auseinandersetzen und vor allem die Wirksamkeit regelmäßig überwachen und neu justieren“, weiß Prof. Wolfgang Biegert, Stellvertretender Vorsitzender des RMA-Vorstands, und fügt an: „In Summe könnten Unternehmen damit Krisen frühzeitig begegnen.“

Mit KI-basierter Datenanalyse lassen sich zukünftige Lieferengpässe bereits ziemlich genau vorhersagen.
Risiken in der Lieferkette vorhersagen und vermeiden
Wie verwundbar in einer globalisierten Welt die Lieferketten sind, haben die Coronapandemie und zuletzt der Krieg in der Ukraine nachdrücklich gezeigt. Doch oftmals sind es schleichende Prozesse, die zu Störungen führen können.

Von ungeplanten Krisenreaktionen und sensiblen Lieferketten

Leider liegt die Betonung im Krisenmanagement zu oft auf dem Konjunktiv. Hintergrund ist, dass sich die Risiko- und damit Krisenvorsorge von Unternehmen in vielen Fällen auf das reine Reagieren beschränkt. „In meiner täglichen Arbeit im Rahmen der Blackout-Vorsorge beobachte ich ein zu kurzfristiges und überstürztes Handeln in Organisationen“, weiß Saurugg und führt fort: „Dieses Verhalten engt die Möglichkeiten im Fall einer Krise massiv ein, gerade weil die Handlungsoptionen im Vorfeld nicht geklärt, durchgespielt und mit klaren Bewältigungsplänen und Maßnahmen versehen wurden.“ Welche Auswirkungen diese ungeplanten Krisenreaktionen haben können, zeigt sich beispielsweise bei sensiblen Lieferketten.

Jüngstes Beispiel ist der Konflikt im Roten Meer. Mit ihren Angriffen auf Frachtschiffe in der Meerenge setzt die Huthi-Miliz nach eigenen Aussagen auf die Solidarität mit Palästinensern und gleichzeitig den internationalen Seehandel unter Druck. Wie sensibel das Rote Meer für den Welthandel ist, verdeutlicht die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) mit folgender Aussage: „Rund 12 Prozent des weltweiten Handelsvolumens passieren den Kanal, der damit eine der wichtigsten globalen Handelsrouten darstellt.“ Das heißt nach Informationen der Deutschen Welle (DW): „Der Suezkanal, der das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet, ist die kürzeste Verbindung zwischen Europa und Asien.

Huthi-Angriff hat Auswirkungen  auf Tesla in Deutschland

Viele Reedereien haben ihre Fahrten durch das Rote Meer eingestellt und fahren den weiteren Weg um das Kap der Guten Hoffnung. Die Folgen sind neben längeren Seewegen steigende Treibstoffpreise sowie Versicherungskosten und letztendlich explodierende Containerpreise. Nach Informationen der DW, unter Berufung auf Peter Sand, Chefanalyst des Kopenhagener Marktanalyseunternehmens Xeneta, kämen bei der Hin- und Rückfahrt von Shanghai nach Rotterdam bei der Umleitung über das Kap der Guten Hoffnung Treibstoffkosten in Höhe von einer Million Dollar hinzu. Die Tagesschau umreißt auf Basis der Frachtbuchungsplattform Freightos die Raten zwischen Asien und Nordeuropa auf über 4.000 Dollar pro Container, was mehr als das Doppelte bedeutet. „Zwischen Asien und dem Mittelmeerraum stiegen sie auf 5.175 Dollar“, so die Tagesschau. Und weiter: „Einige große Reedereien haben für Mitte des Monats Raten von mehr als 6.000 Dollar für Mittelmeersendungen angekündigt“ (Stand: 4. Januar 2024).

Wegen der Angriffe der Huthis im Roten Meer stehen für die Tesla Gigafactory in Brandenburg die Bänder still. 
Wegen der Angriffe der Huthis im Roten Meer stehen für die Tesla Gigafactory in Brandenburg die Bänder still. 

Erste Unternehmen sehen sich infolgedessen mit gestörten Lieferketten konfrontiert. So muss beispielsweise Tesla seine Produktion im deutschen Grünheide aussetzen. Die Zeit schreibt hierzu: „Die Angriffe der Huthis im Roten Meer reißen Lücken in die weltweiten Lieferketten. Teslas Gigafactory in Brandenburg steht deshalb nun zwei Wochen lang weitgehend still.“ Weiter heißt es: „Da sich die Transportwege wegen der Huthi-Angriffe im Roten Meer verschieben würden, sei eine Lücke in den Lieferketten entstanden, teilte das Unternehmen mit. Längere Transportzeiten von Bauteilen würden Tesla dazu zwingen, die Fertigung in der Gigafactory – mit Ausnahme einiger Teilbereiche – vom 29. Januar bis zum 11. Februar ruhen zu lassen.“ Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) titelt: „Auf den Weltmeeren ist der Teufel los“ und nennt das Möbelunternehmen Ikea als einen weiteren Kandidaten, der von der Krise im Roten Meer betroffen ist. Weitere exportabhängige Unternehmen dürften folgen.

Das Verstecken hinter dem angeblich unerwarteten Ereignis

Nun ist das ganze Kriegsgeschehen im Roten Meer eine Tragödie, aber keinesfalls ein unerwartetes und zugleich unwahrscheinliches Ereignis. Ökonomen und Risikomanager malen in solchen Fällen gerne den Schwarzen Schwan mit seinen erheblichen Auswirkungen in die Wirtschaftsbücher. Doch gerade am Beispiel der reißenden Lieferketten durch die Huthi-Angriffe im Roten Meer zeigt sich, dass die Schwarze-Schwan-Herleitung in diesem Fall hinkt. Denn einerseits sind Angriffe auf Schiffe und Piraterie so alt wie die Schifffahrt selbst. Zum anderen gab es in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele für aufgebrachte und entführte Handelsschiffe (siehe Somalia). Mit Blick darauf verweist die Bundeszentrale für Politische Bildung bereits im Jahr 2012, „dass örtlich begrenzte Phänomene gewalttätiger Überfälle auf See wohl nie ganz zu unterbinden sein werden“. Und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr unterstreicht in einem Beitrag von 2017: „Unabdingbar zum Schutz der Schiffe ist, dass die Schiffsführer alle zur Verfügung stehenden Informationsquellen vor Einfahrt in ein pirateriegefährdetes Gebiet nutzen und konsequent die für die jeweiligen Gebiete empfohlenen Eigensicherungsmaßnahmen ergreifen.“ Empfehlungen, die nicht in das Gesamtrisikomanagement vieler im- und exportorientierter Unternehmen einfließen. Im Umkehrschluss heißt das für den Krisenvorsorgeexperten Saurugg: „Viele Krisen sind nicht wirklich völlig unvorhersehbare Ereignisse und daher auch keine Black-Schwan-Phänomene.“ Viel häufiger werde es als Ausrede benutzt, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. „So ist es nicht verwunderlich, wenn Unternehmen in der Krise kopflos und aktionistisch agieren, was ohne Vorbereitung oft nicht mehr anders möglich ist. Die Resultate zeigen sich in einem teils chaotischen Krisenmanagement in Unternehmen“, resümiert Saurugg.

Der schwarze Schwan steht als  Sinnbild  für unerwartete, unwahrscheinliche Ereignisse.
Der schwarze Schwan steht als  Sinnbild  für unerwartete, unwahrscheinliche Ereignisse.

Risikomanagement 

Für RMA-Vorstandsvorsitzender Kimpel wiederum sei das Thema eine zentrale Aufgabe des Topmanagements, um ein holistisches Sicherheitsmanagement in der Gesamtorganisation zu verankern, zu überwachen und regelmäßig auf die Wirksamkeit hin zu kontrollieren. Wichtig sind solche zukunftsweisenden Risiko- und Krisenmanagementprozesse auch vor dem Hintergrund der Polykrisen im globalen Maßstab.

Die RMA setzt in diesem Zuge auf Informationen und klare Leitplanken im Krisenmanagement. Wolfgang Biegert: „Innerhalb des RMA-Arbeitskreises ‚Krisenmanagement‘ entsteht aktuell unter der Arbeitskreisleitung von Dr. Klaus Bockslaff ein Leitfaden zum Krisenmanagement.“ Die Veröffentlichung sei seiner Meinung nach im Rahmen der RMA-Schriftenreihe für das 1. Quartal 2024 als wichtiger Handlungsempfehlung zum Krisenmanagement vorgesehen. Denn merke: Nach der Krise ist vor der nächsten Krise.

RMA-Arbeitskreis: Krisenmanagement

Wussten Sie, dass die RMA Risk Management & Rating Association e.V. mit einem eigenen Arbeitskreis zum „Krisenmanagement“ Unternehmen dabei unterstützt, geeignete Krisenmanagementstrukturen in der eigenen Organisation aufzubauen?

Podcast „RMA on Air“

Wir leben in einer Welt voller Krisen – hervorgerufen durch Kriege, Handelsbeschränkungen, Cyber- oder Naturgefahren. Die Bandbreite ist nicht abschließend, zeigt aber, dass es einen professionellen Umgang mit den Krisen unserer Zeit braucht. Einer, der weiß, wie ein profundes Sicherheits- und Krisenmanagement aussehen kann, ist Herbert Saurugg, Blackout- und Krisenvorsorgeexperte aus Wien. Mit ihm sprachen wir über das Krisenmanagement – was es braucht und wie sich Unternehmen auf Krisenzeiten besser vorbereiten können. Hören Sie rein in den Podcast mit Herbert Saurugg auf RMA on Air.

Ein weiterer Podcast zum Thema „Krisenmanagement“ erscheint im Rahmen der Veröffentlichung des Krisenmanagementleitfadens. Geplant ist hierzu ein Interview mit dem Arbeitskreisleiter Dr. Klaus Bockslaff.

Andreas Eicher, freier Autor

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