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Öffentliche Sicherheit 13. September 2023

Special Assistance Teams: Psychosoziale Ersthelfer in Unternehmen

Psychosoziale Ersthelfer in Unternehmen – Special Assistance Teams – helfen in Krisensituationen und bei Unfällen den Mitarbeitern vor Ort. 

Psychosoziale Ersthelfer in Unternehmen – Special Assistance Teams – helfen in Krisensituationen und bei Unfällen den Mitarbeitern vor Ort. Sie unterstützen auch Einsätze der Feuerwehr.
Psychosoziale Ersthelfer in Unternehmen – Special Assistance Teams – helfen in Krisensituationen und bei Unfällen den Mitarbeitern vor Ort. Sie unterstützen auch Einsätze der Feuerwehr.

Amoklauf im Unternehmen, schwere Arbeitsunfälle, Großlagen durch Feuer oder Explosionen, langfristige Quarantänemaßnahmen oder Terroranschläge: Hier kommen Betreuungsteams der Unternehmen und Hilfsorganisationen zum Einsatz. Wer sind diese Ersthelfer für die Seele? Wie können sie am besten helfen?

Mai 2023: Im Daimler-Benz-Werk Sindelfingen erschießt ein Mitarbeiter zwei Vorgesetzte mit einer Pistole während der Arbeitszeit. In der Kupferhütte Aurubis in Hamburg sterben in der gleichen Woche drei Mitarbeiter bei einem Gasunglück. Fälle , in denen Unternehmen ihr eigenes Betreuungsteam zum Einsatz bringen. Sie sind Teil der Sicherheit im Unternehmen und dem Arbeitsschutz. Dort, wo keine SAT (Special Assistance Teams)-Teams vorhanden sind, ergibt sich auch eine Zusammenarbeit mit Krisen-Interventions-Teams (KIT) von Hilfsorganisationen.

Der bislang schwerste Unfall eines Hochgeschwindigkeitszuges 1998 in Eschede wurde zur Geburtsstunde der flächendeckenden Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) - sowohl in Blaulichtorganisationen, großen Industrieunternehmen, im ÖPNV, als auch bei Airports und Fluggesellschaften.

Special Assistance Teams (S.A.T.) als  psychosoziale Ersthelfer

S.A.T steht für „Special Assistance Team“ und beschreibt sehr förmlich: „Unternehmenseigene Strukturen und Angebote der psychosozialen, organisatorischen und administrativen Unterstützung von speziell geschultem, freiwilligem Personal innerhalb von Fluggesellschaften, Industrieunternehmen, Blaulichtorganisationen und Reiseveranstaltern, die sich in und nach Krisenfällen um betroffene Mitarbeiter und Kunden sowie deren Familienangehörige kümmern“. Bei der Continental AG in Hannover ist die Notfallintervention durch das „Employee Assistance Program“ (EAP) weltweit abgedeckt.

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Die Krisenintervention steht neben der Krisenbewältigung im Fokus der Einsatzleitung. Dass kurze Zeit nach einem Unglück erst einmal Chaos herrscht, ist verständlich. Aber danach müssen Krisenkoordinationsstellen zur Stelle sein, mit abgestimmten Notfallplänen – in Wirtschaftsunternehmen oder dem öffentlichen Raum. Allen Verantwortlichen muss bewusst sein: Umgehende Bekundung der Anteilnahme, Betreuung von Opfern, Zeugen und Angehörigen haben Priorität. In der maritimen Sicherheit auf Seeschiffen kommen nur in der Kreuzfahrtschifffahrt S.A.T-Teams zum Einsatz. In der Handelsschifffahrt allerdings noch nicht.

DGUV: Empfehlungen für Betreuung und Nachsorge in Unternehmen

Allerdings: Eine konkrete Regelung für Betreuung ist aus den arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften nicht bekannt. Lediglich die DGUV-Grundsätze 206-023 und 306-001 (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V.) geben Empfehlungen für Betreuung und Nachsorge in Unternehmen. Dort heißt es: „Betriebliche psychologische Erstbetreuung ist die durch Arbeitgeber kurzfristig und ereignisnah angebotene methodisch-strukturierte, nicht-therapeutische psychosoziale Beratung und Unterstützung für Betroffene von traumatischen Ereignissen durch speziell qualifizierte Erstbetreuer. Die betriebliche psychologische Erstbetreuung beinhaltet die Bedürfnis- und Bedarfserhebung, die psychische Stabilisierung sowie die Vermittlung in das soziale Netzwerk der Betroffenen und/oder in mittel- und gegebenenfalls längerfristige psychosoziale Hilfen.“

So weit, so gut: Der Kriseninterventionsexperte Ulrich Welzel sagt jedoch, dass der empfohlene Ausbildungsumfang der DGUV unzureichend ist. Die DGUV Grundsätze 206-023 und 306-001 sind ein erster guter Ansatz. Mehr jedoch auch nicht; und hier bleiben die DGUV – wie auch die meisten Berufsgenossenschaften – an der Oberfläche. Wer als Unternehmer glaubt, mit zwei Tagen Ausbildung und insgesamt 16 Unterrichtseinheiten wäre das sehr komplexe Thema vom Tisch, der irrt gewaltig. Welzel weiter: „Für Betroffene von Extremereignissen geht es um Entschleunigung, psychische Stabilisierung und den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und des Arbeitsplatzes. Die letztgenannten Punkte sind das Hauptziel des Arbeitgebers.“  

Das Tool „Safe-Coach“ kann  beim Krisenmanagement unterstützen.
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Das Tool „Safe-Coach“ ist ein selbst lernendes Assistenz-System für Arbeits- und Managementorganisation, das auch beim Krisenmanagement unterstützen kann.

Beispiel Continental: Notfallinterventionen weltweit abgedeckt

Frank Busch, Leiter der Konzernsicherheit bei der Continental AG, sagt: „Bei Continental sind ist die Notfallinterventionen durch unser „Employee Assistance Program“ (EAP) weltweit abgedeckt. Um auf der ganzen Welt schnell wirksam zu sein und auch die Privatsphäre der Hilfesuchenden zu gewährleisten, decken wir diesen Bereich über externe Provider ab. Das EAP ist grundsätzlich als Sozialberatung bei privaten und beruflichen Problemstellungen (zum Beispiel Sucht, Konflikte, schwere Erkrankungen, Unfällen, Traumatisierungen, Physische Erkrankungen) aufgesetzt. Die Intervention bei Krisensituationen ist ein Teil dieser Dienstleistung.“

Diese Angebote helfen den Mitarbeitenden des global tätigen Unternehmens vor Ort. Busch weiter: „Unter dem Motto: „We care for you“ bieten wir aber mehr an. Unser Lagezentrum monitort weltweit, automatisiert nach Gefahrenlagen (zum Beispiel Amoklauf, Attentate, Flugzeugabstürze, Naturereignisse, Zugunglücke, Ausschreitungen, Blockaden), diese Gefahrenmeldungen. Sie werden abgeglichen mit unseren Assets (zum Beispiel unseren Liegenschaften, wichtigen Zulieferern) und Dienstreisen. Hieraus wird eine Lagebewertung erstellt.“

Dieses beinhaltet auch die Sicherheit auf Dienstreisen: „Die Dienstreisenden bekommen gegebenenfalls per App eine Warnung mit Verhaltensanweisungen und der Frage, ob sie unbeschadet sind. Bei einer negativen Antwort oder wenn eine Rückmeldung ausbleibt, wird ein Case Manager versuchen, den Mitarbeitenden zu erreichen. Bei Störungen (Brand, Naturkatstrophen), die unsere wichtigen Zulieferer betreffen, werden mehrstufige Unterstützungen angeboten. Bei Unglücken in den Standorten können Experten-Teams zeitnah entsandt werden.“

Klare Rollenverteilung für Betreuungskräfte von KIT und S.A.T-Teams

Dazu sagt der Fachmann für psychosoziale Notfallversorgung und VDSI-Mitglied Welzel: „Die Rollenverteilung ist eigentlich klar: Kriseninterventionsteams (KIT) sind gut ausgebildete Kräfte, oft aus dem Umfeld des Rettungswesens, deren Handeln auf die Akutbetreuung Betroffener ausgerichtet ist. Dazu gehören auch die sogenannten „Notfallseelsorger“. Ein KIT-Einsatz dauert durchschnittlich 123 Minuten, so die Auswertung des ASB von 18.000 Einsätzen in München. Die Mehrheit der KITler ist nicht geschult, die Nachbetreuung/Nachsorge durchzuführen. Ist ein KITler in der Akutbetreuung aktiv gewesen, darf dieser laut eigener Statuten nicht in die Nachsorge gehen, was leider immer wieder ignoriert wird, siehe zum Beispiel nach der Amokfahrt von Trier.“

Die Systematik der Kritischen Infrastrukturen wurde deutlich verändert. Verstärkt sind auch KMU betroffen, die ein Krisenmanagement implementieren müssen.
Kritis: Krisenmanagement für KMU
Die Systematik der Kritischen Infrastrukturen wurde deutlich verändert. Verstärkt sind auch KMU betroffen, die ein Krisenmanagement implementieren müssen.

Die Arbeit für die Special Assistance Teams geht jedoch weiter beziehungsweise beginnt erst dann. S.A.T.-Kräfte haben alle eine 12-tägige „Grund“-Ausbildung hinter sich, plus jedes Jahr 2 x 2 Tage verpflichtende Fachfortbildung, und bekommen weitere Unterstützung. Die Ausbildung dieser nebenamtlichen Tätigkeit besteht, neben der Vermittlung theoretischer Inhalte, aus praktischen Übungen und Simulationsszenarien. Dabei kommen professionelle Schauspieler zum Einsatz, die persönliche Krisensituationen realistisch nachstellen und dadurch die ehrenamtlichen Helfer zum ersten Mal in die Lage versetzten, aktiv Unterstützung leisten zu müssen. S.A.T-Mitglieder erhalten somit eine psychologische Trauma- und Einweisungsschulung zum Thema „Psychosoziale Notfallversorgung“, sie sind jedoch keine ausgebildeten Psychotherapeuten.

S.A.T.-Teams sind fester Bestandteil des Notfallmanagements

S.A.T.-Mitglieder kennen sich im Gegensatz zum KIT sehr gut im Unternehmen aus, und die Betroffenen haben ein hohes Maß an Vertrauen zu ihren Kollegen. Sie sind Teil des Krisenmanagements und haben Richtlinien mit dem ASA (Arbeitssicherheitsausschuss - Geschäftsführung, Personalwesen, Betriebsrat und Arbeitssicherheit) erstellt, festgeschrieben und an die Belegschaft kommuniziert.

Welzel weiter: „In Großunternehmen sind S.A.T. seit vielen Jahren fester Bestandteil des Notfallmanagements, und verstehen ihre kollegiale Hilfe als ein niedrigschwelliges Angebot, was in 98 % der Situationen ausreicht und die Betroffenen stabilisiert. Reicht das nicht aus, hat die S.A.T.-Leitung Kontakte zu den notwendigen Netzwerken wie Trauma-Therapeuten, Psychiater und ähnliche Spezialisten, die im Fall der Fälle innerhalb von 24 Stunden im Einsatz sind.“

S.A.T.-Einsätze können für Ersthelfer belastend sein

Wie die Airline Condor ausführt, sind die S.A.T-Einsätze nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Helfenden belastbar. Deshalb werden Nachbesprechungen während und nach den Einsätzen durchgeführt. Ergänzende Teamevents helfen außerdem dabei, tiefes gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauensverhältnis ist besonders wichtig, da auch bei S.A.T-Mitgliedern grundsätzlich die Gefahr einer Belastungsreaktion besteht. Sich gegenseitig zu stützen, kann elementar wichtig für die Aufrechterhaltung der eigenen mentalen Gesundheit sein. Grundlage der Arbeit im S.A.T bilden daher die wichtigen Eigenschaften: Sensibilität für die Bedürfnisse anderer Menschen, Empathie, Belastbarkeit und Stressresistenz, verbales Geschick, Flexibilität, stabiles soziales Umfeld und Teamfähigkeit.

Fazit

Betriebliche psychologische Erstbetreuung ist für Wirtschaftsunternehmen sehr hilfreich, spart sehr viel Geld und die Prävention hilft dem Unternehmen wie auch den Mitarbeitern. Eine Win-Win-Strategie für alle Beteiligten.

Klaus Kapinos, Fachautor und Pressesprecher der ASW Nord, war jahrelang im Führungsbereich der Evakuierungszentren am Airport Hamburg tätig.

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