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Unternehmen 8. Februar 2024

Wie hilft KI gegen Inventurdifferenzen?

Rückkehr zur Normalität: Nach den Coronajahren steigen die Inventurdifferenzen wieder an. Wie kann sich der Einzelhandel mithilfe von KI schützen?

In deutschen Einkaufsstraßen wird wieder mehr geklaut: Die Inventurdifferenzen und die darin enthaltenen Diebstähle sind laut der EHI-Hochrechnung im Jahr 2022 um 15 % gestiegen.
In deutschen Einkaufsstraßen wird wieder mehr geklaut: Die Inventurdifferenzen und die darin enthaltenen Diebstähle sind laut der EHI-Hochrechnung im Jahr 2022 um 15 % gestiegen.

Das EHI Retail Institute legt jährlich eine neue Erhebung zu Inventurdifferenzen im Einzelhandel vor. Laut Studie 2023 stiegen die zu Verkaufspreisen bewerteten Inventurverluste im Jahr 2022 um 12 % auf 4,6 Mrd. EUR an. Die darin enthaltenen Diebstähle nahmen um 15 % zu, während die Polizeiliche Kriminalstatistik bei angezeigten Ladendiebstählen sogar eine Zunahme von 34,3 % verzeichnete. „Was auf den ersten Blick als dramatische Entwicklung erscheint, ist bei näherer Betrachtung eine Rückkehr zur ‚Normalität‘. Im Grunde sind die Werte der Vor-Corona-Zeit wieder erreicht, als es unter anderem bedingt durch die Lockdowns zu deutlichen Rückgängen kam“, erläutert Frank Horst, Leiter des Forschungsbereichs Sicherheit + Inventurdifferenzen beim EHI.

Die 4,6 Mrd. EUR Warenschwund gliedern sich nach Einschätzung der befragten Unternehmen wie folgt auf:

  • Rund 2,44 Mrd. EUR entfallen demnach auf Ladendiebstähle durch die Kundschaft (53 %).
  • Den eigenen Angestellten werden Verluste in Höhe von 920 Mio. EUR angelastet (20 %).
  • Dem Personal von Lieferanten und Servicefirmen ordnet man 370 Mio. EUR zu (8 %).
  • 19 % werden organisatorischen Mängeln zugeschrieben (Erfassungs-, Buchungs- und Bewertungsfehler).

Was die Entstehungsorte der Inventurdifferenzen angeht, so ereignen sich 52 % der Verluste im Verkaufsraum und gut 17 % an der Kasse. Zumindest in einigen Einzelhandelsbranchen gehört zudem der Wareneingang zu den neuralgischen Punkten.

Und wer ist für die Ladendiebstähle verantwortlich? Laut Polizeistatistik 2022 sind die Täter überwiegend männlich (60,9 % Anteil bei einfachen, 79,5 % bei schweren Ladendiebstählen). Der Ausländeranteil wiederum (40,6 % bei einfachen, 64,9 Prozent bei schweren Ladendiebstählen) liegt erheblich über dem Bevölkerungsanteil (11 %). „Die nicht-deutschen Täter waren schon immer überproportional vertreten, wahrscheinlich wird bei ihnen aber auch stärker hingeschaut“, ordnet Frank Horst ein. Nicht selten wundert man sich, wer Täter wird. Unlängst wurde ein norwegischer Politiker (per Überwachungskamera) erwischt, als er am Flughafen Oslo eine Hugo-Boss-Sonnenbrille mitgehen ließ.

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Keine drastische Erhöhung der Inventurdifferenz 2023

Die durchschnittliche Höhe der Inventurdifferenzen je Unternehmen betrug 2022, zu Verkaufspreisen gerechnet, branchenübergreifend 0,99 % des Bruttoumsatzes. Ein Prozent gilt seit Jahren als übliche Faustformel, wobei die Bandbreite breit ist. Bewertet zu Einkaufspreisen im Verhältnis zum Nettoumsatz lag der Wert bei 0,61 %.

Für das Jahr 2023 kann Frank Horst anhand der bisher vorliegenden Daten keine drastische Erhöhung der Inventurdifferenzen bestätigen, auch wenn diese aufgrund der Rahmenbedingungen (Inflation, zunehmende Migration usw.) von vielen vermutet wird. Der EHI-Experte zeigt sich relativ entspannt: „Ich beschäftige mich jetzt fast 30 Jahre mit dem Thema und die Erfahrung zeigt, dass es auch in vorangegangenen Krisen nicht zu den jeweils befürchteten deutlichen Anstiegen kam.“ Sorge bereitet ihm allerdings die zunehmende Gewaltbereitschaft und Aggressivität der Täter.

Ausgaben für Präventivmaßnahmen wieder erhöht

Der Einzelhandel hat auf jeden Fall bereits reagiert und seine Ausgaben für Präventionsmaßnahmen 2022 – nach Kürzungen in den Corona-Jahren – wieder erhöht. Die Unternehmen geben durchschnittlich 0,31 % vom Umsatz für Sicherheitsmaßnahmen aus. Darin enthalten sind Kosten für Artikelsicherung, Kameraüberwachung, Detektiveinsätze, Testkäufe, Schulungsmaßnahmen sowie sonstige Sicherheitsaktivitäten wie diebstahlhemmende Verkaufsträger oder Softwareanalysetools zur Datenauswertung.

Richtschnur für Investitionen ist meist, was an Einsparungen durch geringere Inventurdifferenzen zu erwarten ist. Bei Kaufhausdetektiven und Doormen kann sich ein darüberhinausgehendes Investment lohnen. „Sie wirken präventiv – nicht zuletzt im Hinblick auf organisierte Bandendiebstähle, die etwa ein Viertel Anteil des Gesamtschadens ausmachen – und steigern das Sicherheitsgefühl von Kunden und Mitarbeitenden im Laden. Letztere entlastet es sehr, wenn sie einen Dieb nicht selbst stellen und begleiten müssen“, macht Frank Horst aufmerksam. Er weiß aber auch: „Der Einsatz ist nur zu etwa 20 Prozent kostendeckend. Für einen Detektiv sind 25 Euro die Stunde einzuplanen, im Durchschnitt kostet es 250 Euro, um einen Täter zu überführen. Zudem sind zu wenige und vor allem zu wenig gute Detektive im Markt verfügbar, unter anderem, da es sich um keinen Ausbildungsberuf handelt.“  

Dass (alle im Rahmen dieses Beitrags aufgezählten) Schutzmaßnahmen wirksam sind, steht für Frank Horst außer Frage: „Es zeigt sich immer wieder, dass die Vernachlässigung oder Reduzierung von Sicherheitsmaßnahmen unmittelbar zu höheren Bestandsverlusten führt. Es sind in der Praxis zudem immer wieder Verlagerungseffekte des Diebstahlgeschehens von gut gesicherten und überwachten zu weniger gut gesicherten Geschäften festzustellen.“

Gegenwärtig forcieren die Handelsunternehmen laut EHI-Studie vor allem die Personalschulung und die gezielte Datenauswertung. 85 % gaben an, ihre Inventurdifferenzen artikelgenau zu ermitteln. Wer die besonders diebstahlgefährdeten Artikel kennt, kann schließlich besonders gezielt Gegenmaßnahmen ergreifen. Zu den Diebstahlrennern zählen neben den Klassikern Spirituosen, Kosmetik, Accessoires derzeit u.a. auch Mähroboter. Generell gilt, so Frank Horst: „Was sich gut verkauft, wird auch oft gestohlen.“

Top-Kombination: Kamerasysteme und KI-basierte Software

Große Hoffnungen, so Frank Horst, gründen sich aktuell auf Computer Vision, einen Teilbereich der künstlichen Intelligenz (KI). Kamerasysteme und KI-basierte Software werden verbunden und aus dem digitalen Bildmaterial aussagekräftige Daten generiert, beispielsweise auffälliges Besucherverhalten aufgespürt. Die KI-basierten Software-Lösungen werden sukzessive mit Informationen zu Vorgehensweisen und Verhaltenscharakteristika von Ladendieben „gefüttert“. Sie lernen daraus, werden also künftig immer zuverlässiger darin, Vorfälle zu entdecken, intelligent zu interpretieren und auf dieser Basis Warnungen beziehungsweise Handlungsempfehlungen abzugeben. Treiber der Technologie sind insbesondere Anbieter von Self-Checkout-Kassen. Wurde ein Artikel am Scanner vorbeigeführt? Der EAN-Code mit dem Finger abgedeckt? Passen Artikel und EAN-Code zusammen? All das können neue Sicherheitssysteme erkennen. Auf der kommenden Messe für Handelstechnologie Euro CIS (www.eurocis.com), die vom 27. bis 29. Februar in Düsseldorf stattfindet, werden einige Innovationen zu sehen sein. Zu den Akteuren, die sich intensiv mit der Thematik befassen, zählen u.a. die Firmen Diebold Nixdorf, ITAB in Kooperation mit Signatrix und Rapitag, Toshiba, Axis Communications, Sensormatic, Re-Vision, Veesion oder GK-Software.

Stefanie Hütz, freie Mitarbeiterin PROTECTOR

Besonders viel Sicherheitsinnovation gibt es aktuell rund um das Thema Self-Checkout-Kassen.
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