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Wie begegnet die Sicherheitsbranche den Herausforderungen an den Wirtschaftsschutz?

Der neue Vorstandsvorsitzende des ASW-Bundesverbands, Alexander Borgschulze, äußert sich im Interview zu den Herausforderungen an den Wirtschaftsschutz.

Der neue Vorstandsvorsitzende des ASW-Bundesverbands, Alexander Borgschulze, äußert sich im Interview zu den Herausforderungen an den Wirtschaftsschutz.
Der neue Vorstandsvorsitzende des ASW-Bundesverbands, Alexander Borgschulze, äußert sich im Interview zu den Herausforderungen an den Wirtschaftsschutz.

Alexander Borgschulze ist seit Mai dieses Jahres der neue Vorstandsvorsitzende des ASW-Bundesverbands; PROTECTOR befragte ihn nach seinen ersten 100 Tagen zu den aktuellen Herausforderungen, vor denen der Wirtschaftsschutz steht, und wie die Sicherheitsbranche diesen begegnet.

Sie sind ja schon seit langem in der Verbandslandschaft für den Wirtschaftsschutz aktiv. Welche Ziele haben Sie sich als neuer Vorstandsvorsitzender für den ASW-Bundesverband gesetzt?

Alexander Borgschulze: Die Bewältigung aktueller und künftiger Sicherheitsherausforderungen bedarf eines gesamtgesellschaftlichen, alle Facetten umfassenden Sicherheitsverständnisses. Gemeinsame Sicherheitsinteressen und die Mittel zu ihrer Verfolgung müssen durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft definiert und ausgestaltet werden. Dabei müssen die Rolle und der Beitrag der deutschen Industrie zur Sicherheit stärker in unserer Außen- und Sicherheitspolitik berücksichtigt werden.

Die Gefährdungen für die Wirtschaft, Stichwort Polykrise, wandeln sich, es gibt immer neue Herausforderungen. Welche Probleme sehen Sie aktuell als die dringlichsten an?

Alexander Borgschulze: Der Begriff der Polykrise ist zwar nicht neu, hat aber eine neue Dringlichkeit angenommen, seitdem Regierungen, Denkfabriken und Bürger versuchen zu verstehen, wie sie darauf reagieren sollten. Trotz vielfältiger Antworten besteht ein Konsens, dass kurzfristige Planung und Silo-Denken hier nicht die Lösung bringen werden. Zu oft ignorieren Institutionen die Langfristplanung. Politiker sind meist nur relativ kurz im Amt und müssen Resultate liefern. Wenn wir Politiker dazu bewegen wollen zu erwägen, wie sich ihre Entscheidungen mehr denn je auf die Zukunft auswirken, müssen wir kurzfristige Etappensiege einbauen. Zum Beispiel schnelle Erfolge in Themen der nationalen Sicherheit. Das Problem dabei: Kurz- und langfristige Ziele passen nicht immer zusammen.

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Mit Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, um Herausforderungen zu meistern

Wie reagiert der ASW-Bundesverband auf diese Herausforderungen?

Alexander Borgschulze: Mehr denn je sind wir gefordert, uns für eine sichere Wirtschaft einzusetzen. Vielfältige Sicherheitsrisiken gefährden deutsche Unternehmen und damit den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland. Die vertrauensvolle Teamarbeit im Vorstand sowie die enge und inhaltlich abgestimmte Zusammenarbeit mit den Landes-/Regionalverbänden haben den ASW zu einem wertvollen Partner von allen relevanten Bundessicherheitsbehörden werden lassen. Um dies zu festigen und auszubauen, werden wir die Wahrung der Interessen aller Mitgliedsunternehmen und deren aktive Einbindung in die Verbandsarbeit im Fokus behalten und die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie unseren Partnerverbänden noch stärker vorantreiben.

Wie wollen Sie diese Zusammenarbeit intensivieren?

Alexander Borgschulze: Die fortlaufende Analyse der Sicherheitslage hinsichtlich möglicher Risiken für die Wirtschaft und die Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Sicherheit als ständiger Prozess müssen unser tägliches Handeln bestimmen.

Hier sehe ich unseren Auftrag sowohl als proaktiven Ideengeber als auch verlässlichen Berater mit hoher Expertise. Alle diese Voraussetzungen sind im sehr gut aufgestellten ASW-Team gegeben.

Borgschulze neuer Vorstandsvorsitzender des ASW Bundesverbands
Alexander Borgschulze führt den ASW Bundesverband als neuer Vorstandsvorsitzender und löst damit Volker Wagner ab.

Sie sprachen bereits kurz die Politik an: Vor Kurzem wurde von der Bundesregierung die erste Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland vorgestellt. Habe Sie das Gefühl, dass das Thema Wirtschaftsschutz jetzt endlich in der Politik angekommen ist?

Alexander Borgschulze: Mit Strategien ist es ja immer so eine Sache: Blumige Worte beschreiben das große Ganze - und am Ende weiß niemand so genau, was das jetzt eigentlich für die Praxis heißt. So lesen sich auch viele der 76 Seiten der Nationalen Sicherheitsstrategie. Da entwickelt die Ampelkoalition keine grundlegend neuen Leitlinien der Außen- und Sicherheitspolitik. Trotzdem ist es richtig, diese Strategie endlich vorzulegen und den Begriff „Sicherheit“ größer zu denken als nur Diplomatie und militärische Sicherheit. Sicherheit heißt auch, dass jeden Tag Strom und sauberes Wasser aus den Leitungen kommt, dass in Apotheken nicht die wichtigen Medikamente ausgehen und dass die Industrie verlässlich an Rohstoffe kommt. Wenn die Bundesregierung es ernst meint, müsste sie massiv in Bevölkerungs- und Katastrophenschutz investieren. Hier gibt es großen Nachholbedarf. Oder die in der Strategie immer wieder erwähnte Cyberabwehr. Wenn Hacker Krankenhäuser oder Behörden angreifen und lahmlegen, stellt sich die Frage: Wer ist jetzt zuständig? Die Polizei, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik oder die Behörden des Verfassungsschutzes? Diese Zuständigkeiten neu zu sortieren und dem Bund als Zentralstelle mehr Kompetenzen zu geben, wird eine zentrale Herausforderung sein. Denn die Bundesländer geben nicht gerne Kompetenzen ab. Solche Fragen werden entscheiden, ob die Nationale Sicherheitsstrategie mehr ist als eine buntbedruckte Broschüre.

Koordinator für den Wirtschaftsschutz gefordert

Der Bundesbeauftragte oder Koordinator für den Wirtschaftsschutz wurde auch schon von Ihrem Vorgänger gefordert. Haben Sie hier Hoffnung?

Alexander Borgschulze: Sicherheit ist das Fundament für Innovation, Durchsetzungskraft und Erfolg unserer Wirtschaft. Diese Sicherheit ist unsere gemeinsame Verantwortung. Um Verantwortung wahrzunehmen, benötigen wir ein „Gesicht für den Wirtschaftsschutz“ auf Bundesebene. Daher steht unsere klare Forderung der Ernennung eines Koordinators für Wirtschaftsschutz nach wie vor! Dieser soll die Zuständigkeiten auf Bundesebene koordinieren, die Vernetzung von Bundesakteuren mit regionalen und kommunalen Stakeholdern aus Behörden, Verbänden, deren Mitgliedsunternehmen und Forschungseinrichtungen verstetigen, behördenübergreifende Detektion besonders gefährdeter Branchen aufbauen und als politischer Motor für umfassenden Wirtschaftsschutz agieren. Daher halten wir an der Forderung für einen Koordinator für den Wirtschaftsschutz fest und werden diese auch weiterhin nachdrücklich vertreten.

Resilienz im Tierreich – in Unternehmen kann eine optimal eingesetzte Unternehmenssicherheit wertvolle Stütze in der Polykrise sein. 
Unternehmenssicherheit: Resilienz für die Polykrise stärken
Optimal eingesetzt, wird die Unternehmenssicherheit zum „Business Enabler“, die gerade in Zeiten der Polykrise die Resilienz im Unternehmen stärken kann.

In einem kürzlich vorgelegten Positionspapier zum Schutz der deutschen Wirtschaft fordern Sie außerdem eine nationale Analyse- und Strategieplattform für den Wirtschaftsschutz. Was stellen Sie sich darunter vor?

Alexander Borgschulze: Es ist zwingend erforderlich, die zwischen der Wirtschaft und den Behörden bestehenden Kooperationsformen beziehungsweise Kommunikationswege weiterzuentwickeln, um Unternehmen beziehungsweise Branchen präventiv über sicherheitsrelevante Risiken oder mögliche bevorstehende Angriffe zu unterrichten. Daher fordern wir die Einrichtung einer nationalen Analyse- und Strategieplattform für den Wirtschaftsschutz. Nur durch eine interdisziplinäre und ressortübergreifende Schnittstelle zwischen Vertretern von Sicherheitsbehörden und Unternehmen können ein realistisches (Bundes-) Gefährdungslagebild sowie auch effektive branchenspezifische Schutzkonzepte zur Stärkung der Wertschöpfungs-/Lieferkette für Unternehmen und Forschungseinrichtungen erarbeitet werden. Auf Basis agiler Prozessstrukturen muss diese Plattform für einen permanenten Informationsfluss zu akuten und künftigen Bedrohungslagen stehen.

Initiative Wirtschaftsschutz als  Dachbündnis

Gibt es da nicht Überschneidungen zur „Initiative Wirtschaftsschutz“? Was ist aus der geworden?

Alexander Borgschulze: Das muss sich ergänzen! Als Dachbündnis bündelt die Initiative eine wertvolle Expertise von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft. Dadurch bietet die „Initiative Wirtschaftsschutz“ ein umfassendes zielgruppenspezifisches Informations- und Beratungsangebot. Es besteht aus verschiedenen Maßnahmen und Projekten für einen verbesserten Wirtschaftsschutz. Daher „konkurrieren“ beide Maßnahmen nicht.

Ein weiterer Schwerpunkt der Verbandstätigkeit ist seit langem der Mittelstand. Ist es denn gelungen, diesen stärker für Sicherheitsthemen zu sensibilisieren?

Alexander Borgschulze: Große Konzerne können viele Maßnahmen selbst in die Wege leiten. Bei der Mehrzahl der kleinen und mittleren Unternehmen fehlt allerdings immer noch häufig das Bewusstsein, dass sie selbst ein lohnendes Ziel für Spionage- und Ausspähungsaktivitäten sind. Hier dürfen wir nicht müde werden, weiterhin zu sensibilisieren. Das haben wir beim ASW gemeinsam mit unseren Regionalverbänden explizit auf die Agenda gesetzt.

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