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Arbeitsschutz 27. September 2023

KI bei der Bewerberauswahl?

KI zur Unterstützung bei der Bewerberauswahl? Das persönliche Gespräch ist unerlässlich, um sich einen Eindruck vom Bewerber zu verschaffen.

Die KI kann das persönliche Gespräch bei einer Bewerbung nicht ersetzen.  
Die KI kann das persönliche Gespräch bei einer Bewerbung nicht ersetzen.  

Corona hat auch die Arbeit von Personalstellen und Recruitern bei der Bewerberauswahl nachhaltig beeinflusst. Viele Unternehmen hatten mit weniger Bewerbungen zu kämpfen und luden auch weniger Bewerber – bedingt durch die Coronamaßnahmen – zu Vorstellungsgesprächen ein. Vielmehr ist seitdem die digitale Bewerbung oder auch das Online-Assessment auf dem Vormarsch. Doch was bedeutet das für die Frage, sein Gegenüber richtig einschätzen zu können? Gerade bei Stellenbesetzungen auf Top-Positionen sind Personalreferenten und Agenturen, die Bewerber im Vorfeld sichten, gut beraten, sich einen genauen und möglichst vollständigen Gesamteindruck des Bewerbers zu verschaffen. Die Entscheidung über eine Einstellung fällt oft im direkten Miteinander, denn häufig entscheidet neben der Qualifikation auch der subjektive Eindruck, ob jemand eingestellt wird oder nicht. In einem persönlichen Gespräch kann dabei Profiling eine große Hilfe sein.

Hat der Bewerber etwas zu verbergen?

Hier kommt die Synthesetechnik des „Menschenlesens“ zum Tragen, welche sich gewinnbringend einsetzen lässt. Im Kern geht es um die Fähigkeit, Menschen aufgrund ihrer Ausdrucksweise, Haptik und Mimik richtig einschätzen oder „lesen“ zu können. Das anzuwendende Konzept besteht aus den Bausteinen: Emotionen sehen, Überzeugungshebel anwenden, Fragetechniken beherrschen und Lügen erkennen. Der Trend zu digitalen Vorstellungsgesprächen während der Coronapandemie unterläuft diesen entscheidenden Aspekt der Personalauswahl, da hier der Monitor gleich eines kleinen Fensters eine Barriere schafft. Jeder Mensch nutzt jedoch verschiedene Kommunikationskanäle, die als Einheit betrachtet und analysiert werden müssen. Die Herausforderung besteht darin, Abweichungen zwischen den unterschiedlichen Kanälen zu erkennen, um festzustellen, ob die Antworten einer Person auf gestellte Fragen „ehrlich“ sind, was in einer virtuellen Sitzung deutlich schwerer ist, weil einige Kanäle nicht zu erkennen sind. Eine Übereinstimmung muss bei einer Äußerung zwischen allen Kanälen vorhanden sein. Weicht ein Kanal ab, kann dies darauf hindeuten, dass der Bewerber etwas zu verbergen hat oder etwas nicht stimmt. Allerdings ist es wichtig, dass zuvor das „Normalverhalten“ (Baseline) des Gesprächspartners richtig erfasst wurde. Nur so werden Abweichungen in den Kommunikationskanälen durch gezielte Fragen erkennbar und eine Unwahrheit sichtbar.

Kann KI den Menschen bei der Bewerberauswahl ersetzen?

Ebenso kritisch sind die Entwicklung und der Einsatz von KI zur Bewerber(vor)auswahl zu sehen. Auch wird die Komponente des „Lesens“ einer Person zugunsten von Algorithmen verdrängt. Dank moderner Softwaresysteme, die beispielsweise auf maschinellem Lernen, Sprachanalyse (Natural Language Processing) oder prädiktiven algorithmischen Systemen basieren, haben Unternehmen die Möglichkeit, gezielt nach Bewerbern zu suchen und sie auszuwählen. Entlang des gesamten „Talent Lifecycle“, also von der Ansprache potenzieller Bewerber über die Personalauswahl und den Einstieg bis hin zur Personal- und Qualifikationsentwicklung, können KI-Systeme dazu beitragen, sowohl die Qualität als auch die Effizienz von Prozessen zu verbessern. Das Hauptziel besteht darin, den Kandidaten sowie den Beschäftigten einen hohen Komfort zu bieten und den Zugang zu Informationen und Bewerbungsmöglichkeiten einfach und zugänglich zu gestalten (Stichwort „Enhanced Candidate Experience“).

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Trotz Fachkräftemangel Industriespionage im Blick behalten

Das Risiko solcher Systeme besteht in der Möglichkeit, dass die KI vorteilhafte Antworten liefert und das eigene Bewerberprofil dahingehend optimiert. Laut einer Umfrage des Recruitingsoftware-Anbieters Softgarden unter knapp 4.000 Bewerbenden haben sich 13 % von ihnen von einer KI beim Bewerbungsanschreiben helfen lassen. Erfolgt keine „menschliche“ Überprüfung in einem direkten Gespräch, um die Angaben zu verifizieren, steigt die Gefahr, augenscheinlich fachlich qualifizierte, aber dennoch für die Position ungeeignete Personen einzustellen. Ganz zu schweigen von allen Problemen, die eine KI-Bewerberauswahl hinsichtlich möglicher Diskriminierungstatbestände und potenzieller Biaseffekte mit sich bringen kann. Gerade die so wichtige Fragetechnik, sein Gegenüber mit Impulsen zu Reaktionen zu „animieren“, die es dann in Millisekunden gilt, richtig einzuordnen und zu interpretieren, kann keine KI (derzeit) leisten. Auch in Zeiten des Fachkräftemangels ist es daher umso wichtiger, nicht den erstbesten Kandidaten zu nehmen, sondern nach entsprechender Auswahl den wirklich Geeigneten. Und dies ist nach wie vor nur im persönlichen Gespräch vernünftig umzusetzen.

Sabrina Rizzo bildete Personal in leitender Funktion aus. Zudem bewegt sie sich seit mehr als einem Jahrzehnt in der Sicherheitsbranche und arbeitet heute unter anderem als Profilerin für die Kriminalpolizei im Bereich Mordermittlungen.

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