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Schattenhandel schwächt die Wirtschaft

Schattenhandel ist unerlaubter Handel mit illegalen Produkten, Produktfälschungen oder auch unversteuerten Produkten. Alle zusammen schädigen die Wirtschaft.

 Illegal erwirtschaftete Gewinne aus dem Schattenhandel finden ihren Weg über die Geldwäsche in die legale Wirtschaft.
Illegal erwirtschaftete Gewinne aus dem Schattenhandel finden ihren Weg über die Geldwäsche in die legale Wirtschaft.

Was ist Schattenhandel und welche Auswirkungen hat er auf die Wirtschaft? Mit dem Begriff Handel verbindet man zunächst Wünschenswertes. Gegen Geldleistung wechseln Waren ihre Besitzer, Bedürfnisse und Wünsche können erfüllt werden, und die Marktmechanismen sorgen in dezentraler Weise tendenziell dafür, dass die Waren auch in ausreichender Menge an die benötigten Orte gelangen. Zu dieser annähernd optimalen Allokation kommt noch die Nutzung komparativer Kostenvorteile – eine Handelspartei hat sich auf die Herstellung einer Ware spezialisiert und kann diese besonders effizient produzieren, benötigt selbst aber eine andere Ware, die wiederum eine andere Handelspartei besonders versiert produziert. Im Tausch erwirtschaften beide Seiten, verglichen mit reiner Eigenproduktion, einen Gewinn.

Aber der Markt ist nicht immer perfekt, und bisweilen kommt es zu verschiedenen Formen von Marktversagen. Das kann asymmetrische Information betreffen, negative externe Effekte und vieles mehr. Aber halten wir uns hier der Anschaulichkeit halber an praktische Beispiele.

Schattenhandel ist mehr als gefälschte Elektronik

Was der Leser bei der „dunklen“ Seite des Handels – auch Schattenhandel, oder im Englischen „illicit trade“ genannt – vermutlich zunächst vor Augen hat, sind dubiose fliegende Händler, die unter prekären Bedingungen gefälschte Tabakwaren, Spirituosen, Elektronik, Uhren und Medikamente und ähnliches an unwissende Kundschaft verkaufen. Gepanschter Alkohol kann zur Erblindung führen, Pharmaprodukte mit falschen Wirkstoffen schwere gesundheitliche Folgen haben, unsichere Geräte die heimatliche Wohnung in Flammen aufgehen lassen.

Das ist aber nicht alles und nicht einmal der Großteil des Schattenhandels. Letztlich müssen alle Bereiche des unerlaubten Handels betrachtet werden, dies umfasst Produktion, Verteilung und Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen Individuen oder Organisationen, wobei entweder die Ware oder die Art und Weise des Austauschs in der betreffenden Rechtsordnung illegal ist. Konkret heißt das: 1) Güter, mit denen aus rechtlichen Gründen gar nicht gehandelt werden darf (zum Beispiel illegale Betäubungsmittel), dann solche, 2) die zwar legal hergestellt, jedoch im entsprechenden Absatzmarkt nicht zugelassen sind („Illicit Whites“, zum Beispiel in der Europäischen Union nicht zugelassene Pharmazeutika), oder 3) eigentlich zulässige Güter, die aber unversteuert vertrieben werden, und nicht zuletzt 4) Produktfälschungen. Letztere werden oft in die EU geschmuggelt und damit nicht nur nicht versteuert, sondern auch keinerlei Qualitätskontrollen unterzogen.

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Großer Schaden für die Wirtschaft

Die Schätzungen des Gesamtumfangs sind das, was man als „dickes Brett“ bezeichnen könnte. Daran versucht haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Institutionen. Und wo Schatten ist, da ist auch Licht. Der Schattenhandel ist mit der legalen Wirtschaft verflochten und reicht weit in viele Bereiche der Gesellschaft hinein. Er erzeugt Umsatzeinbußen und auch Reputationsschäden bei legal wirtschaftenden Unternehmen, kostet dort Arbeitsplätze, schwächt Unternehmergeist und Investitionstätigkeiten, hält sich in der Produktion nicht an Umweltauflagen und vieles mehr. Arbeitsplätze schmälert er Schätzungen zufolge aufgrund verursachter wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Schäden die weltweite Wirtschaftsleistung um drei Prozent. Allein in der Europäischen Union und nur auf Tabakprodukte bezogen werden jedes Jahr etwa zehn Milliarden Euro Steuern hinterzogen. Entsprechend fehlen dann natürlich auch auf der Verwendungsseite die Staatsausgaben für öffentliche Güter. In der Agrar- und Lebensmittelbranche reicht laut Umfragen ein Vorfall minderwertig gefälschter Produkte aus, um den Hersteller des legalen Originalprodukts 15 % des Jahresumsatzes zu kosten – weil die verunsicherten Verbraucher lieber die Finger von seinem Produkt lassen.

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Die Effekte sind allerdings wesentlich vielschichtiger und weder ausschließlich schädlich noch reine Nullsummenspiele (was dem einen nutzt, schadet dem anderen). Schließlich finden illegal erwirtschaftete Gewinne ihren Weg über Geldwäsche oder ohne weitere Umstände in aller Regel zurück in die legale Wirtschaft. Ein anschauliches Beispiel: Der Mafia-Pate fährt mit seinem selbstverständlich aus legaler Produktion stammenden Boliden am Berliner Kurfürstendamm vor und kauft seiner ihn begleitenden Verlobten eine Luxus-Handtasche eines französischen Luxusherstellers – selbstredend ein Original, bevor sie zum Notartermin für das in Kleinmachnow zu erwerbende Villengrundstücks weiterfahren. Fahrzeughersteller, Handtaschenproduzent und Notar sowie bisheriger Eigentümer des Grundstücks versteuern anschließend ihre legalen Einnahmen.

Studie zu den volkswirtschaftlichen Kosten

Das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH (Bigs) in Potsdam hat sich der Frage des Gesamteffekts im Auftrag der Philip Morris GmbH genauer angenommen. Um die volkswirtschaftlichen Kosten des Phänomens Schattenhandel sichtbar zu machen, haben die Wissenschaftler um Institutsdirektor Dr. Tim Stuchtey auch die indirekten Effekte und Wechselwirkungen bedacht und anhand öffentlich zugänglicher Daten sowie unter Verwendung ökonometrischer Schätzmethoden die „Auswirkungen auf Wohlstand, Wachstum, Innovation und Bildung“ untersucht. Verwendet hat das Bigs aufgrund der international flächendeckenden und zeitüberspannenden Verfügbarkeit hierfür näherungsweise Daten zu beschlagnahmten Drogenmengen auf Länderebene in Europa. Details zu Methode mit Vor- und Nachtteilen sowie den möglichen Interpretationen sind im Bigs Policy Paper „The Economic Costs of Illicit Trade“ nachzulesen.

Wirtschaftswachstum gedeiht nach Auffassung vieler Volkswirte besonders dort, wo ein guter Schutz von Patent- und Eigentumsrechten sowie ein investitionsfreundliches Umfeld besteht und die Menschen guten Zugang zu Bildungssystem haben. Die ökomische Theorie besagt, „dass Menschen mit höherem Humankapital (also Bildung und Ausbildung) produktiver sind und ein höheres Einkommen erzielen; das hat wiederum positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Wachstum. Es gibt noch einen zweiten Übertragungsmechanismus: Humankapital unterstützt auch Innovationen sehr stark, die wiederum eigene positive Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung haben.“

Der Haken ist nun, dass die Analyse aufdeckt, dass ein Mehr an illegalem Handel mit einem Weniger an Teilnahme an tertiärer Bildung bei der örtlichen Bevölkerung einhergeht. Damit nehmen Bildung, Fähigkeiten und Produktion dort ab, Hintergrund ist vermutlich, dass das schnelle Geld in einem – verglichen mit anderen Kriminalitätsfeldern – risikoarmen Geschäftsfeld die Lust vieler mindert, die Schulbank etwa an der Universität weiter zu drücken.

Die Daten zeigen ferner, dass in Staaten mit höherem Anteil von illegalem Handel tatsächlich ein geringerer Pro-Kopf-Betrag für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird. Hingegen konnte entgegen der Annahme kein Effekt auf Patentanmeldungen oder „sonstige Anträge auf den Schutz geistigen Eigentums“ nachgewiesen werden.

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Insgesamt kann die Studie statistisch abgesichert zeigen, dass ein marginaler Anstieg des illegalen Handels mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums, der Einschreibung in den Tertiärbereich im Bildungswesen sowie von Ausgaben für Forschung und Entwicklung einhergeht. Der Gesamteffekt ist – auch aufgrund der Berücksichtigung der Rückflüsse in die legale Wirtschaft sowie des ja auch vorhandenen Nutzens der Straftäter und ihrer Kunden – zwar kleiner, als das bislang gemeinhin in der auf Methoden der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beruhenden Literatur vermutet wurde. Immerhin liegt der Schaden jedoch bei etwa 0,22 % der jährliche Wirtschaftsleistung. Das klingt erst einmal nicht nach viel, es sind jedoch große europäische Volkswirtschaften betroffen – und dann sind das in absoluten Größen doch schnell Milliarden.

Nicht vergessen werden darf dabei jedoch eines: Natürlich wirkt Schattenhandel nicht überall gleich auf Volkswirtschaft, Bevölkerung und Umwelt aus. Das liegt schon aufgrund der Tatsache auf der Hand, dass das Geschäft international ist – es gibt Herkunfts-, Transit- und Konsumstaaten.

Dr. Tim Stuchtey, Direktor des Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit gGmbH (BIGS)

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