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Videosicherheit 11. Mai 2023

Straftaten vorhersehen – Folgekosten vermeiden

Wenn Straftaten vorgesehen werden könnten, würden Ressourcen optimiert und Folgekosten gemindert. Ein Pilotprojekt des BKA arbeitet momentan an der Realisierung dieses Traums.

Eine gute Kriminalprävention dient zunächst der Verbesserung der objektiven Sicherheitslage, was sich auch positiv im subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger ausdrücken sollte.
Eine gute Kriminalprävention dient zunächst der Verbesserung der objektiven Sicherheitslage, was sich auch positiv im subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger ausdrücken sollte.

Kriminalprävention hat in Deutschland eine jahrzehntelange Tradition. Sie soll helfen, Kriminalität durch ein Bündel an Maßnahmen und sozialen Projekten zu verhindern, bevor sie entsteht. In einem Pilotprojekt werden erstmals langfristige Daten genutzt, um Aussagen über künftige Entwicklungen in Quartieren treffen zu können.

Kriminalität führt in Deutschland zu Schäden in Milliardenhöhe – für das Jahr 2022 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik eine Gesamtschadenshöhe von fast neun Milliarden Euro bei knapp 2,5 Millionen Fällen aus. Dies berücksichtigt nur die in der Statistik erfassten Fälle, die Dunkelziffer dürfte noch höher ausfallen. Nach einem Rückgang der Fallzahlen nach den Corona-Jahren 2020 und 2021 nehmen die kriminellen Aktivitäten wieder deutlich zu. Die Städte sehen sich seit Jahrzehnten mit der Frage konfrontiert, wie sich Kriminalität effektiv durch Präventionsmaßnahmen im Vorfeld verhindern lässt, denn die Fallzahlen sind gerade hier höher als vergleichsweise auf dem Land oder kleineren Kommunen. Denn wenn eine Straftat bereits geschehen ist, hat in den Augen der Bürger der Staat oder die Polizei nicht selten bereits „versagt“.

Das faktische und subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger richtet sich in erster Linie an die Polizei und die Stadt oder Gemeinde, in der sie leben. Ein hohes Sicherheitsgefühl hat einen großen Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen und auf die Entwicklung einer Kommune oder städtischen Viertels, respektive Quartiers. Denn auch die wirtschaftliche Entwicklung ist eng an die soziale gekoppelt. Viele Faktoren innerhalb eines Quartiers wie die Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppen, ihrer Kaufkraft, ihres Bildungsniveaus hat Einfluss auf die Standortqualität für den Einzelhandel und die Wirtschaft.

Erfolgreiche Prävention als Ergebnis von umfangreichen Datenanalysen

Kriminelle Strukturen innerhalb von Städten und größeren Gemeinden entstehen nicht über Nacht, sondern sind häufig das Ergebnis von sozialen Fehlentwicklungen in Stadtteilen oder Quartieren. Das rechtzeitige Erkennen von Problemen ist für die Verantwortlichen in betroffenen Städten oftmals ein Problem, denn es fehlt an einem Überblick über die möglichen kausalen Zusammenhänge zwischen einzelnen Faktoren. Schwindende Kaufkraft, hoher Arbeitslosigkeit, Vermüllung oder eine zunehmende Zahl an Beschwerden der Bewohner und eine hohe Einsatzbelastung von Ordnungskräften und Polizei können Signale sein, dass ein Stadtteil „abrutscht“. Die Daten aus verschiedensten behördlichen Quellen zu bündeln und diese in Zusammenhang zu bringen, um drohende Fehlentwicklungen zu erkennen, soll das vom BKA entwickelte Tool „ELSA“ leisten. ELSA steht für „evidenzbasierte lokale Sicherheitsanalysen“, das verschiedene Bereiche misst und auswertet. Dazu gehören die acht Module (Behördliche) Kriminalprävention, Ressourcen, Behördenkooperation, Kriminalität, Ordnung, Wirtschaft, Wohnraum/Infrastruktur/Bebauung und Demografie/Integrationsbedarf/Bildung. Alle Daten werden in eine umfangreiche Tabelle eingetragen, die mittels Formeln ein Ampelfrühwarnsystem mit einer Skala von eins bis zehn für die einzelnen Module erstellt.

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„In die Module fließen etwa 40 evidenzbasierte Einflussfaktoren auf die lokale Sicherheit ein, wie Ordnung, Kaufkraft, Arbeitslosigkeit. Alle Faktoren sind in einem aufwendigen wissenschaftlichen Verfahren erstellt und auf ihre Relevanz hin überprüft worden“, erklärt Fabian Mayer, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BKA. Es handelt sich nicht um ein Vorhersagemodell, das die Entwicklung zu einem Zeitpunkt in der Zukunft voraussagen soll. „Es geht darum, mit Hilfe der in der Regel einmal jährlich aktualisierten Daten den Ist-Zustand zu betrachten und über Zeitreihenanalysen den Verlauf zu bewerten. Anhand des Wertes auf der Skala und des Ampelsystems je Modul sehen wir, ob ein Quartier gut dasteht oder ob es droht, abzurutschen“, erläutert Thomas Richter, Abteilungsleiter im Bereich Lage und Strategie im Ordnungsreferat Gelsenkirchen. Steht die Ampel auf Gelb oder Rot, müssen die Verantwortlichen anhand der rund 40 Faktoren prüfen, wie der Entwicklung entgegenzusteuern ist. Dies können Mittel sein, die über mehr Präsenz von Polizei- und Ordnungskräften bis hin zu bildungstechnischen und städtebaulichen Maßnahmen reichen. „ELSA ist ein strategisches Tool, kein einsatztaktisches. Der Zeithorizont ist ein völlig anderer und dient der mittel- und langfristigen Planung“, so Richter.

Kommunale Ordnungsdienste sind oftmals erste Ansprechpartner für Anliegen der Bürger.
Kommunale Ordnungsdienste sind oftmals erste Ansprechpartner für Anliegen der Bürger.

Auch Sicherheitstechnik spielt als Baustein der Prävention eine Rolle

Den Verantwortlichen in den Kommunen stehen zahlreiche Mittel und Projekte zur Verfügung, um im Handlungsfall einer Fehlentwicklung entgegenzuwirken. Jugendarbeit, Stadtentwicklung, Bekämpfung lokaler Arbeitslosigkeit sind nur einige Beispiele, für die auch übergreifend Initiativen aus den Bundesländern oder des Bundes zum Tragen kommen können. Ein hohes Unsicherheitsgefühl kann etwa das Thema Wohnungseinbruch und Diebstahl erzeugen. Verschiedene überregionale Programme in Verbindung mit lokaler Aufklärungsarbeit sollen hier entgegenwirken. Eine erfolgreiche Kriminalprävention in diesem Bereich bedeutet neben der Aufklärung über Risiken zumeist der Einsatz technischer Mittel zur Vorkehrung gegenüber Einbrüchen.

Bereits seit 2013 gibt es staatlich geförderte Anreize, das Eigenheim durch verschiedene technische Lösungen einbruchsicher zu machen. Auch Initiativen wie „Nicht bei mir!" sollen bei den Menschen das Bewusstsein für das Risiko von Einbrüchen schärfen und Hilfestellungen für den mechanischen und elektronischen Einbruchschutz geben. Neben der Beratung durch die Polizei sind vor allem die Fachunternehmen ein wichtiger Baustein als Teil der Prävention. Die Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention (DFK) arbeitet seit Jahren an einer Zusammenführung der gelisteten qualifizierten Errichter. Für eine Verbesserung der Transparenz und er zur Qualitätssteigerung arbeiten die DFK und ihre Partner wie die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK), die VdS Schadenverhütung GmbH, der Bundesverband Sicherheitstechnik (BHE) sowie der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI) an Errichterlisten mit qualifizierten Fachunternehmen. Für Errichter und Hersteller von Sicherheitstechnik lohnt sich die Aufnahme in die Listen durchaus, denn die Fördermittel sind häufig schnell ausgeschöpft, was auf eine hohe Nachfrage nach einer Verbesserung des häuslichen oder gewerblichen Einbruchschutzes schließen lässt. Gefördert werden sowohl der mechanische Einbruchschutz wie einbruchhemmende Fenster und Türen mit entsprechenden Schutzbeschlägen und Einbruchmeldeanlagen (EMA).

Auch zweiflüglige  Balkontüren lassen sich beispielsweise mit einer Stulpeckumlenkung von Winkhaus zusätzlich absichern.
Auch zweiflüglige  Balkontüren lassen sich beispielsweise mit einer Stulpeckumlenkung von Winkhaus zusätzlich absichern.
Nora Schulzke, Werksstudentin bei Assa Abloy, übernimmt im operativen Kooperationsteam mit dem Weißen Ring eine tragende Rolle.
Assa Abloy engagiert sich in der Kriminalprävention
Zur Stärkung ihres gesellschaftlichen Engagements und der Kriminalprävention startet Assa Abloy Sicherheitstechnik eine Kooperation mit dem Weißen Ring.

Erfolgreiche Prävention spart mittel- und langfristig Kosten

Eine gute Kriminalprävention dient zunächst der Verbesserung der objektiven Sicherheitslage, was sich auch positiv im subjektiven Sicherheitsgefühl der Bürger ausdrücken sollte. Da nicht selten über Sinn und Effektivität solcher Maßnahmen gestritten wird, stell sich bei vielen Projekten in Gänze auch immer die Frage, was diese im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung bringen. In Bezug auf technische Sicherungsmaßnahmen im Bereich des Einbruchschutzes sind die Aussagen von Versicherern und Verbänden recht eindeutig. Im Schnitt kosten ein erfolgreicher Einbruch das Opfer laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) etwa 3.100 Euro. Die Investition dagegen etwa in eine EMA kostet je nach Objektgröße nur wenige hundert Euro, Fenster lassen sich nachrüsten, ohne diese komplett austauschen zu müssen. Einbrecher lassen sich von ihrem Vorhaben in der Regel abschrecken, wenn sich nicht innerhalb weniger Sekunden in das Objekt hineingelangen. Das zeigt, dass viele Einbrüche durch technische Maßnahmen verhindert werden können, was sich auch insgesamt auf die Versicherungsprämien positiv auswirkt.

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie es sich mit der sozialen Prävention verhält, weil es hierzu nur wenige belastbare Studien gibt und die Quantifizierung schwieriger ist. Eine Studie zum Rhein-Neckar-Kreis (RNK) von 2015 hat aufgezeigt, dass sich Kriminalprävention durchaus lohnt, wenngleich nicht alle Angaben belastbar sind. Eingeflossen in die Studie sind auch Zahlen aus England und Australien für die Folgekosten von Kriminalität und die Wirksamkeit und die Kostenersparnis für erfolgreiche Prävention zu verdeutlichen. Die Kosten für alle Präventionsmaßnahmen im Rhein-Neckar-Kreis zum damaligen Zeitpunkt inklusive Personalkosten für die Polizei liegen demnach deutlich unter den eingesparten Kosten für verhinderte Straftaten, basierend auf einem Vergleich zwischen der Region RNK und anderen Regionen des Landes Baden-Württemberg. Nicht eingerechnet sind dabei die Steigerung der Lebensqualität sowie des Sozialkapitals sowie die Reduzierung der Kriminalitätsfurcht.

Das Projekt ELSA zeigt, wie wichtig es ist, einerseits rechtzeitig Fehlentwicklungen im städtischen Umfeld zu erkennen und andererseits, dass zahlreiche Daten oft vielerorts vorhanden sind – diese nur nicht in Relation in Bezug auf Ordnung und Sicherheit zueinander gesetzt werden. Mit ELSA stellt das BKA ein Analysetool zur Verfügung, das sofort einsetzbar ist und das langfristig Bestand hat, wobei das BKA interessierten Städten und Gemeinden auch beratend zur Seite steht. Ziel soll es sein, erfolgreiche Kriminalprävention nicht aus dem Bauch heraus, sondern auf Basis wissenschaftlich fundierter Faktoren zu betreiben. Eine Evaluation des Projekts in Gelsenkirchen nach drei Jahren soll aufzeigen, inwieweit ELSA geholfen hat, die Situation in einzelnen Quartieren zu verbessern oder eine positive zu halten (grüne Ampel). Mayer: „Repression kostet im Schnitt immer mehr als Prävention. Wird rechtzeitig einer problematischen Entwicklung entgegengesteuert, lassen sich Ressourcen mittel- und langfristig anderweitig einsetzen.“ Das gilt für Personal wie für finanzielle Mittel, etwa für Projekte, gleichermaßen.

Hendrick Lehmann, freier Mitarbeiter PROTECTOR

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