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Editorial 7. April 2016

Europa an der Grenze

Erst die Terroranschläge in Paris, jetzt in Brüssel. Toleranz und Respekt vor dem Leben ist nicht jedermanns Überzeugung – in einer globalisierten Welt wird sich Europa darauf einstellen müssen. Vielleicht werden die Ereignisse in der Gesellschaft zu einer Neubewertung des Gleichgewichts zwischen Kontrolle und Überwachung gegenüber persönlicher Freiheit und Privatsphäre führen.
Britta Kalscheuer, stellvertretende Chefredakteurin
Britta Kalscheuer, stellvertretende Chefredakteurin

Die Unsicherheit der Bevölkerung und ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation rund um drohenden Terror und ungelöste Flüchtlingskrise lassen sich – nicht nur in Deutschland – an den aktuellen Wahlergebnissen ablesen. Hier taucht wieder Gedankengut aus der Versenkung auf, das man längst abgeschüttelt glaubte. Und auch die Rückorientierung auf eine „Splendid isolation“, den eigenen Mikrokosmos und der Alleingang bei der Interpretation geltender Gesetze untergraben die Idee eines geeinten Europas. Der europäische Gedanke stößt derzeit schon an seine Grenzen, wenn es um die gemeinsame Wahrung der Außengrenzen geht und nicht um den eigenen, nationalen Vorteil. Die Hilferufe Griechenlands und Italiens – Lampedusa hatte immerhin bereits vor fünf Jahren die weiße Flagge ob der Flüchtlingsströme gehisst und den humanitären Notstand ausgerufen – verhallten solange ungehört, bis die Flüchtlinge an den Bahnhöfen Mitteleuropas standen. Gegenseitige Unterstützung ist in dieser Union nicht selbstverständlich.

Bei der grenzüberschreitenden Terrorismusbekämpfung hat Europa offenbar ebenfalls Probleme. Der Nachrichtenaustausch zwischen europäischen Behörden wie Europol und den Geheimdiensten untereinander wird hinter vorgehaltener Hand als bürokratisch und zäh bezeichnet. Wer in einem EU-Staat als Fanatiker auffällt und verurteilt wird, kann scheinbar in einem anderen EU-Staat unbeobachtet Anschläge planen. Einen (leider) sehr aktuellen Einblick in die Entwicklungen und Hintergründe des jihadistischen Terrorismus gibt unser Beitrag ab Seite 66. Politische, militärische und gesellschaftliche Konsequenzen aus der globalen Terrorbedrohung waren bereits zentrales Thema auf der 5. Wintertagung, zu der PROTECTOR & WIK und der BVSW im März eingeladen hatten. Neben einer Einschätzung der Sicherheitslage gab es dort auch tiefe Einblicke in die Anatomie des so genannten Islamischen Staates und die Psyche von fanatischen Terroristen (Seite 10).

Die EU prüft nun im Nachgang zu den Anschlägen nahe ihres Hauptsitzes, ob vor öffentlichen Gebäuden und an deren Zufahrtswegen Sicherheitskontrollen ermöglicht werden sollen. Kurz nach Terroranschlägen werden politische Konsequenzen gerne schnell und medienwirksam gefordert oder zugesagt. Es bleibt abzuwarten, was daraus wird, denn Sicherheit kostet Geld. Im niederländischen Euroborg-Stadion (Seite 31) und in der durch einen Amoklauf bekannt gewordenen Albertville-Realschule (Seite 26) wurde bereits in technische Maßnahmen investiert, um den Besuchern und Beschäftigten eine besser geschützte Umgebung zu bieten. Das Sicherheitslevel zu erhöhen, wäre nun gleichfalls das Gebot der Stunde bei öffentlich zugänglichen Gebäuden wie Flughäfen oder Bahnhöfen – und dabei ist nicht nur der Einsatz von moderner Technik, sondern auch von mehr Sicherheitspersonal notwendig. In Deutschland sind der Ausbau von Polizei, Bundesgrenzschutz und Einsätze der Bundeswehr oder gar eine Lockerung des Datenschutzes per se Skandalthemen, aber die Weiterentwicklung der Welt macht eine neue Betrachtung und Diskussion notwendig. Denn Freiheit kann nur der Mensch erleben, der sich sicher fühlt. Und die Freiheit in Europa sollte uns dies wert sein.

Britta Kalscheuer

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