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Die Quadratur des Kraiss 3. September 2013

Augen zu und durch

Im NSA-Abhörskandal wurden anfänglich Google-, Facebook und Twitter-Nutzer als Opfer in den Vordergrund gestellt. Mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Wer sein Leben auf einer Litfaßsäule publiziert, darf nicht erstaunt sein, wenn alle mitlesen.

Es dauerte fast zwei Wochen, bis auch von Wirtschaftsspionage und einer Gefahr für deutsche Unternehmen, ja für die deutsche Wirtschaft schlechthin, gesprochen wurde. Was für eine Erkenntnis! Hat man denn geglaubt, die NSA interessiert sich dafür, was der eine oder andere gestern gegessen hat? Der Irak-Krieg wurde auch nicht geführt, um dem irakischen Volk die Freiheit zu geben.

Bereits vor langer Zeit

Die endlose Gier der USA nach Informationen begann nicht mit dem 11. September. Sie wurde dadurch nur legitimiert und führte zu einer Kaskade von Menschenrechtsverletzungen, verachtendem Umgang mit „Freunden“ und zu einem allgemeinen Verfall der politischen und rechtsstaatlichen Kultur in den USA. Im Krieg war und ist die Informationsbeschaffung, die Spionage und die Gegenspionage eine strategische Waffe von höchster Bedeutung.

Der zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg sind vorbei. Geblieben ist die historisch gewachsene Zusammenarbeit der anglo-amerikanischen Allianz, bestehend aus den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Sie hatten bereits weit vor dem 11. September mit dem Aufbau des Spionagenetzes Echolon begonnen. Nicht nur staatsfeindliche Informationen, sondern vor allem auch Wirtschaftsdaten sollten damit ausgespäht werden. Bereits damals war bekannt, dass sich die US-Geheimdienste zudem Zugang zu Soft- und Hardware aller wichtigen amerikanischen Hersteller verschafften. Verschlüsselungsprogramme, Firewalls, Lotus Notes, Blackberry, die Windows- Produkte und Virenscanner waren betroffen. Eingeweihten war es kein Geheimnis: Willst du sicher sein, verwende keine anglo- amerikanischen Produkte.

Spätestens mit dem Echolon-Report des Europäischen Parlaments wurde das ganze Ausmaß der Spionageaktivitäten bekannt. Passiert ist wenig. Gut, von Einsichtigen wurden die bislang stolz gezeigten Blackberrys reihenweise in den Mülleimer geworfen und die NSA musste 2004 ihre Abhörstation in Bad Aibling schließen.

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Aussagen der amerikanischen Nachrichtendienste zum „Business Information Warfare“ sprechen für sich: „Wir befinden uns in einem weltweiten Wirtschaftskrieg. Der Rohstoff, um den gekämpft wird, sind Informationen. Das eindeutige Ziel ist, die nationale ökonomische Sicherheit zu stärken. Es gibt Fälle, bei denen allein eine Operation das gesamte Jahresbudget reinholt.“ Der deutsche Bundesnachrichtendienst stellte in einer Studie zur „Verstärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der USA durch Nachrichtendienste“ fest: „Die USA werden den Kampf um Wettbewerbsfähigkeit und Weltmarktanteile mit aller Entschlossenheit führen.“ Die offizielle Position der USA erläuterte ein ehemaliger Direktor der CIA wie folgt: „Die USA überwachen den internationalen Fernmeldeverkehr, um nformationen über wirtschaftliche Entwicklungen, Lieferungen und das Einhalten von Embargos zu erhalten. Sie überwachen gezielt die Kommunikation von Einzelunternehmen im Zusammenhang mit Ausschreibungen von Aufträgen, um‚ Marktverzerrungen‘ zu Ungunsten von US-Firmen zu verhindern.“

Deutlicher kann man sich nicht zur staatlich gelenkten Wirtschaftsspionage bekennen. Hat denn da niemand zugehört? War die deutsche Regierung, war die Wirtschaft blind? Hat sie nicht davon gehört, dass in den USA bereits 1993 das „Advocacy Center“ gegründet wurde? Es bündelt die einschlägigen Ressourcen der US-Regierung und dient als zentrale Anlaufstelle für amerikanische Unternehmen, um Wirtschaftsprojekte im nationalen Interesse zu „fördern“. Es ist schlichtweg eine staatlich gelenkte Kontaktstelle zwischen der amerikanischen Wirtschaft und den Nachrichtendiensten.

Der Feind rüstet auf, wir sind blind

Prism setzt mit modernen Mitteln fort, was mit Echolon begann. Die amerikanische Wirtschaft lahmt, die Staatsverschuldung hat die 16 Billionen-Marke überschritten. Die USA stehen mit dem Rücken an der Wand und eine starke Wirtschaft ist „Sicherheit“. Die befreundeten Staaten ziehen mit, eine Hand wäscht die andere und der Kampf gegen Terrorismus rechtfertigt auch Rechtsverletzungen. Wie eine aktuelle Studie zeigt, sehen sich die meisten deutschen Unternehmen – auch unter dem Eindruck der NSA-Affäre – immer noch nicht als gefährdet an. Augen zu und durch, mir passiert schon nichts.

Volker Kraiss, Senior Security Consultant

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