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Alles im Blick

Millionen Menschen nutzen täglich den öffentlichen Personennahverkehr. Immer wieder kommt es dabei zu gewalttätigen Übergriffen, zu Vandalismus und Diebstahl. Zur Prävention gibt es dabei unterschiedliche Mittel und Konzepte, darunter auch das der Videoüberwachung.

In der Leitstelle werden nur Verkehrsdaten live überwacht.
In der Leitstelle werden nur Verkehrsdaten live überwacht.

Eine Umfrage von 2013 bei Nutzern des öffentlichen Nahverkehrs hat ergeben, dass der Einsatz von Videoüberwachung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bei Fahrgästen auf große Zustimmung stößt. Hierin sehen diese eine geeignete und wichtige Maßnahme, die die Sicherheit in Bussen und Bahnen sowie an Haltestellen erhöht. Demnach sind 79 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Videoüberwachung für sie ein sehr wichtiger Aspekt ist, um sich in öffentlichen Verkehrsmitteln sicher zu fühlen.

Auch uniformiertes Personal trägt in ähnlichem Maße dazu bei, das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste zu erhöhen. Rein objektiv betrachtet schneidet der ÖPNV insgesamt in Bezug auf gemeldete und erfasste Gewaltdelikte oder Belästigungen statistisch nicht schlechter als andere öffentliche Einrichtungen ab. Dagegen steht das subjektive Sicherheitsempfinden der Fahrgäste, das letztlich über die Nutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels mitentscheidet.

Denn einer weiteren Umfrage aus dem Jahr 2012 zufolge fühlen sich über zehn Prozent der Bus- und Bahnreisenden eher unsicher. Zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls setzen daher viele Verkehrsbetriebe auf unterschiedliche Maßnahmenpakete.

Videoüberwachung im Fokus

Der Einsatz von Videotechnik an Haltestellen und in Fahrzeugen hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Geschätzt sind mittlerweile bundesweit mehr als 20.000 fest installierte Kameras in den Umgebungen des öffentlichen Personennahverkehrs im Einsatz. Der Einsatz der Technik, ob in den Fahrzeugen oder an Haltestellen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählt etwa die Bewertung der Sicherheitslage oder ob beispielsweise Kameras an Haltestellen primär der Verkehrsüberwachung dienen und nicht der Sicherheitsüberwachung.

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Bei der Hamburger Hochbahn AG gibt es etwa mit der Hamburger Hochbahn-Wache GmbH ein eigenes Unternehmen, das mit der Sicherheit der Fahrgäste befasst ist. Die Wache verfügt über eine Einsatzzentrale, in der die Mitarbeiter das Geschehen an allen Haltestellen im Blick haben und im ständigen Kontakt mit den Kollegen vor Ort stehen. Unter anderem sind etwa 700 U-Bahnwagen mit je zwei, die rund 700 Busse mit je drei bis sieben Kameras ausgestattet. Daneben gibt es noch etwa 600 Überwachungskameras auf Bahnsteigen, in Schalterhallen und Abstellanlagen sowie rund 400 Abfertigungskameras an Bahnsteigen.

Die Videobilder aus den Fahrzeugen werden nicht aktiv extern überwacht. „In den Fahrzeugen werden Aufzeichnungen angefertigt. Bei einer akuten Notsituation kann die Bus-Leitstelle per Anforderung über einen Notknopf live in das Fahrzeug schauen“ erläutert Maja Weihgold, stellvertretende Pressesprecherin der Hamburger Hochbahn AG.

Die Aufzeichnung erfolgt auf Festplatten, die nach 24 Stunden wieder überspielt werden, sofern sie nicht zur Beweissicherung entnommen werden. Eine Auswertung erfolgt ausschließlich im Ereignisfall. Für zusätzliche Sicherheit sorgen die Streifen an den Haltestellen und in den Fahrzeugen selbst.

Beispiel Darmstadt

Aber nicht nur in Ballungszentren, auch in Großstädten wie Darmstadt ist Videoüberwachung in den Fahrzeugen Stand der Technik. Bei der Heag Mobilo GmbH, deren Straßenbahn- und Busliniennetz über die Stadtgrenzen hinaus bis weit in die Region reicht, erfolgt ebenfalls die Aufzeichnung der Kamerabilder in den Fahrzeugen selbst, es findet keine direkte Übertragung der Daten statt. „Nur damit beauftragte Mitarbeiter haben Zugriff auf die Aufzeichnungen, um im Ereignisfall die Daten an die Behörden zu Ermittlungszwecken weiterzugeben“, so Dirk Kornelius, Leiter Verkehrsmanagement bei der Heag Mobilo.

Jährlich nutzen etwa 41,6 Millionen Fahrgäste die Dienste des Mobilitätsdienstleisters Heag Mobilo. Dieser unterhält unter anderem 48 Triebwagen, davon 38 niederflurig sowie 30 Niederflurbeiwagen. Insgesamt werden 162 Straßenbahnhaltepunkte angesteuert, die entlang an 105 Kilometern Straßenbahnschienen liegen.

Im Verkehrskonzern gibt es darüber hinaus eine umfangreiche Busflotte mit 37 Standardbussen, darunter drei moderne Hybridbusse und 33 Gelenkbusse.

Die Kameras in den Beiwagen der Straßenbahn erhöhen das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste, denn für den Fahrer sind die Beiwagen nicht direkt einsehbar. Nach 48 Stunden werden die Aufnahmen automatisch wieder überspielt. Sollte es in diesem Zeitraum ein durch den Fahrer oder einen Fahrgast gemeldetes Ereignis gegeben haben, wird dieses im betrieblichen Meldesystem aufgenommen und anschließend durch die Entnahme des Datenträgers aus dem Fahrzeug und der Sichtung der aufgezeichneten Daten überprüft.

Danach stehen die Daten als Kopie den Strafverfolgungsbehörden je nach Fall zur Verfügung.

Datenschutz muss beachtet werden

Bei der Videoüberwachung muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben. Denn bei einer kontinuierlichen Überwachung werden zunächst einmal alle Personen erfasst, die in ihren Bereich geraten. Somit werden neben tatsächlichen Straftätern unvermeidbar völlig unverdächtige Menschen erfasst. Daher erfolgt wie bei der Heag Mobilo die Auswertung auch nicht live, sondern grundsätzlich nur nach der Entnahme der Datenspeicher aus dem jeweiligen Fahrzeug.

Grundsätzlich gilt für die Videoüberwachung, dass diese einer strengen Zweckbindung zu unterliegen hat, also nicht willkürlich geschehen darf. Ferner muss es eine deutliche Erkennbarkeit der Videoüberwachung für die betroffenen Personen geben. Die Speicherung der Daten erfolgt in der Regel für nur wenige Tage, wobei es für die Dauer von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regelungen gibt, denn Datenschutz ist Ländersache.

Technische Entwicklungen

Gerade in der Frage, wie die Persönlichkeitsrechte der Fahrgäste geschützt werden können, ohne Abstriche in der Sicherheit durch Videoüberwachung machen zu müssen, gibt es technische Lösungsansätze. Ein Beispiel ist die Auswertung beziehungsweise Erfassung von Ereignissen mit Hilfe gezielter Videoanalyse.

Hierbei können etwa bei der Aufzeichnung Gesichter, bewegte Objekte (Personen oder Fahrzeuge) oder festgelegte (über Zonen definierte) Bereiche „verschleiert“ also unkenntlich gemacht werden. Eine solche Unkenntlichmachung ließe sich auch zeitlich steuern, sodass etwa tagsüber alle Personen nicht zu erkennen sind, nachts dafür aber schon. Die Verschleierung kann bei nachträglichen Untersuchungen oder zur Aufklärung von Situationen rückgängig gemacht werden.

Aus Datenschutzgründen hat auch hierzu nur ein beschränkter Personenkreis Zugriff, etwa durch die Eingabe eines Passworts von einer oder gegebenenfalls auch von zwei Personen mit entsprechender Berechtigung. Andere Systeme versuchen, bestimmte im Vorfeld definierte Ereignisse zu erkennen und weiterzuleiten. Inwieweit solche Technologien aber bereits einen praktische Anwendernutzen haben, ist umstritten.

Die Qualität der Ergebnisse gerade bei vordefinierten Ereignissen liegt größtenteils weit unter einem industriell verwertbaren Standard. Das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme verfolgt dagegen einen anderen Ansatz. Anstatt spezifische Ereignisse zu erkennen, soll der in der hauseigenen Forschung entwickelte Ansatz der „Abnormal Event Detection“ in der Lage sein, selbständig ungewöhnliche Ereignisse zu detektieren.

Im Bedarfsfall kann dann bei der Leitstelle eine automatische Aufschaltung der Kamera erfolgen, sodass die Mitarbeiter gezielt über ein Ereignis informiert werden. Die dabei entstandenen Fehlalarme lassen sich bei einem adaptiven, also lernenden, Algorithmus zunehmend weiter minimieren.

Bewertung des Nutzens

Der Einsatz von Videoüberwachungstechnik zur Steigerung der objektiv wie subjektiv empfundenen Sicherheit wird nicht selten unterschiedlich bewertet. Während das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste sich durch den Einsatz von Kameras durchaus erhöht, steht die Frage im Raum, ob gleichermaßen auch objektiv etwa ein Rückgang von Straftaten zu beobachten ist.

So fordert der bayerische Innenminister von den bayerischen Verkehrsbetrieben den flächendeckenden Einsatz von Videoüberwachung. Am Beispiel München sei zu belegen, dass die Straftaten im Nahverkehr in den vergangenen zehn Jahren um fast 30 Prozent auf etwa 10.000 Delikte gesunken seien. Allerdings ist in dem Fall unklar, inwieweit die Videoüberwachung aktiv für den Rückgang von Straftaten verantwortlich ist, da im gleichen Zeitraum auch die Präsenz von Polizei und Sicherheitsdiensten zugenommen hat.

Die Essener Verkehrsbetriebe dagegen haben begonnen, ihre U-Bahnhöfe mit zusätzlichen Videokameras auszustatten, um vor allem gegen Graffiti vorzugehen. Hier baut man auf die guten Erfahrungen in den Bussen und Straßenbahnen, wo der der Einsatz der Kameratechnik offenbar eine abschreckende Wirkung hat. Die Zahl der Delikte sei spürbar zurückgegangen.

Das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste zu steigern beziehungsweise dieses zu stärken, ist sicherlich das Ziel aller Verkehrsbetriebe. Die Wahl der Mittel fällt dabei je nach Beurteilung der Sicherheitslage und einer Kosten-Nutzen-Abschätzung unterschiedlich aus. Im Falle der Heag Mobilo etwa geht die Rechnung auf, denn beim jährlichen ÖPNV-Kundenbarometer, einer Befragung von knapp 20.000 Fahrgästen aus insgesamt 30 Verkehrsunternehmen, sehen die Befragten das Unternehmen beim Punkt „Sicherheit im Fahrzeug (tagsüber)“ unter den ersten drei.

Hendrick Lehmann

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